Disposition
Hauptwerk, Manual I C-g“‘ Bourdon 16’ Principal 8’ Soloflöte 8’ Gambe 8’ Octave 4’ Flöte 4’ Quinte 2 2/3’ Superoctave 2’ Mixtur lV - V 1 1/3’ Cornet V ab g 8’ Trompeta 8’ Orlos 8’ |
Schwellwerk, Manual II C-g“‘ Quintaton 16’ Fugara 8’ Bourdon 8’ Salicional 8’ Vox coelestis 8’ Principal 4’ Querflöte 4’ Nazard 2 2/3’ Flageolet 2’ Terz 1 3/5’ Mixtur III - IV 2’ Hohes Horn 8’ Clarinette 8’ Tremulant |
Pedalwerk C-f‘ Contrabass 16’ Subbass 16’ Octavbass 8’ Violoncello 8’ Bassoctave 4’ Bombarde 16’ Posaune 8’ |
Koppeln II / l, I / P, II / P, Super ll / P |
Temperierung, Stimmtonhöhe ungleichstufig nach Billeter a‘ 440 / Hz 15 °C |
Anmerkung Effektregister: Krötenesel duale Registersteuerung Setzer 2 x 8 x 8 |
Form
Orgelklang und Orgeltechnik gelten seit langer Zeit als ausgereift und kaum verbesserbar. Und die Orgelgestaltung? Nach interessanten Ansätzen zur „befreienden Erneuerung“ von Orgelprospekten in den 1950-er und 60-er-Jahren folgte eine Epoche postmoderner Rückbesinnung. Einmal mehr wurden alte Stile überarbeitet, zitiert und imitiert. Nun hatten wir den Neo-Neo-Stil. Aber Traditionspflege allein genügt nicht.
Wer sich um die Zukunft der Orgel sorgt, sollte sich auch um deren Bild in der Öffentlichkeit bemühen. Die Orgel als grandioses Musikinstrument mit kulturtragender Bedeutung muss sich im Bewusstsein der Menschen einen neuen Platz erobern. Die positive Wirkung kontemporärer Gestaltung in Kunst und Architektur ist übertragbar auf den Orgelbau.
Seit jeher gelten Architektur und Kunst als Bestandteile der Orgelgestaltung und Orgeln als Zeugen der Ästhetik ihrer Entstehungszeit.
Mit dem Bildhauer Armin Göhringer habe ich einen Künstler gefunden, dessen Arbeiten in Holz mit einer Vielzahl archetypischer Aussagen des klassischen Orgelbaus in Material und Ornamentierung korrespondieren. Seine „Kreuzschichtungen“ aus vertikalen und horizontalen Besägungen übersetzen vorhandene Strukturen von Orgel und Kirchenraum. Durchbrüche bilden Schallöffnungen und geben Einblicke in das Pfeifenwerk (s. unsere Arbeiten von Grafenrheinfeld und Herbolzheim). Die hoch aufragende, gebogene Stele bildet den visuellen Mittelpunkt der neuen Orgel. Mit ihrem punktierten Lichtstrahl ist sie ein Symbol der emporsteigenden Klänge, der Verbindung von Erde und Himmel.
Das achtteilig gestaffelte Prospektbild ist konkav geformt und neigt sich dem Raum zu. Die gebogenen Lisenen sind am Beginn des Klangbereiches tailliert und öffnen sich nach oben. Sie betonen die vertikalen Linien des gotischen Raumes und bringen Spannung und Bewegung. Schwebende Dachelemente bilden den architektonischen Abschluss, lenken Schall und bieten Schutz. Die Dominanz der Mittelachse des Prospektes wird über horizontale, im Bogen nach unten verlaufende Zungenbündel zur Basis geführt. Alle Biegungsradien des Gehäuses sind aus Proportionen des Raumes im Verhältnis einer großen Terz abgeleitet. In ihrer klaren und harmonischen Form soll die Orgel den Raum ergänzen und bereichern.
— Claudius Winterhalter
Farbe
Der Blick vom Altarraum hinauf zur Empore ist eine Offenbarung: Von hier aus präsentiert sich die neue Weingarten-Orgel in voller Größe und Schönheit. Neben ihrer Form besticht die ungewöhnliche Farbgebung in Rot und Violett; ein glutroter Lichtstrahl, durchbrochen von filigranen Kreuzschichtungen, verstärkt die aufstrebende Bewegung der Mittelstele.
In unserer physikalischen Welt ist Farbe, abgesehen von farbigem Licht, ohne Form nicht denkbar. Im Idealfall wirken Farbe und Form zusammen. Die Farbe unterstützt die Form und bringt sie zur Geltung. Orgeln wurden schon immer in Farbe gefasst.
Das Rot des Orgelgehäuses in Weingarten ist eine Reminiszenz an die Farbgebung der Gotik, in der Rot vorherrschend über Blau und Gold war. Ein kraftvoller Duktus verleiht den Flächen Struktur. Aufgetragen auf einen weißen Untergrund, bringt Rot den Orgelcorpus zum Leuchten. Im nicht-illuminierten Raum verleiht die Farbe dem Instrument Präsenz.
Symbolisch signalisiert Rot Leben. Es ist die Farbe der Liebe und des Martyriums. Im katholischen Farbenkanon steht Rot für Palmsonntag, Karfreitag, Pfingsten, Apostel- und Märtyrerfeste.
Die „schwebenden“ Dächer der Weingarten-Orgel verblüffen in Violett. Wo das Auge ein Himmel assoziierendes Blau vermutet, wird Rot beigemischt.
Das Unerwartete fordert ein neues Sehen; die Farbe unterstützt die Auseinandersetzung mit der Form.
Violett ist die liturgische Farbe der Passionszeit, der Zeit des Fastens und der Buße, der Wandlung durch Schmerz und Tod. Goethe schreibt in seiner Farbenlehre: „Violett ist sowohl Symbol der höchsten Verzückung der Seele, als auch ihrer dunkelsten und schmerzhaftesten Momente. In seinen Schwingungen berühren sich Passion und Rausch, Befreiung und Verfall, Tod und Auferstehung, Leid und Erlösung, Sucht und Läuterung, die mystische Schau und der Wahn.“
Keine andere Farbe repräsentiert diese Gefühlspalette wie Violett und korrespondiert dabei mit der klanglichen Vielfalt der Orgel.
— Ute Dahmen
Klang
Vornehmste und schönste Aufgabe des Orgelbauers bei der Schaffung des Musikinstrumentes Orgel ist die Inklangsetzung seiner Arbeit. Ihr dienen alle Bemühungen einer komplexen Zusammenfügung unzähliger Einzelfaktoren; hier liegt aber zugleich die größte Herausforderung. Sie ist die „Verinnerlichung der Orgelbaukunst in ihrer geschichtlichen Dimension und das Ernstnehmen einer Verpflichtung gegenüber künftigen Hörergenerationen. Ihr klangliches Gepräge entspringt den unterschiedlichen Elementen der gottesdienstlichen Feier. Ihrer Idee nach ist sie, auch im konzertanten Bezugsfeld, Botschafterin sinnlich erfahrbarer Transparenz einer transzendierten Wirklichkeit“ (Christoph Bossert zur Böblinger Orgel 1993).
Am Anfang des Orgelklanges steht die Disposition der Register als Erklärung musikalischer Strukturen und Farben im Kontext historischer Beispiele und aktueller Definition. Sie wird mitbestimmt von der Größe des Aufstellungsraumes, dessen akustischen und bauseitigen Bedingungen und, nicht zuletzt, den finanziellen Möglichkeiten des Auftraggebers.
Für die neue Orgel der Weingartenkirche stand für mich vor allem der Wunsch nach romantischer Gravität, aber auch barocker Leichtigkeit und Eleganz im Vordergrund.
Die bewusste Entscheidung für eine großrahmige „Nur-Zweimanualigkeit“ ermöglichte eine interessante, vielschichtige Werkausstattung, die einer Dreimanualigkeit gleicher Größe an nuancierter Klangvielfalt überlegen ist.
Mit 32 Stimmen aus dem Fundus verschiedener Epochen und Orgellandschaften entstand das „crossover“ eines vor Jahren begonnenen Prozesses zu differenzierter Eigenständigkeit meiner Intonationabsichten. Grundlagen hierzu sind eine nachhaltig angelegte technische Vorbereitung der Pfeifen, umfassendes Verständnis für akustische Zusammenhänge von Orgel und Raum, intuitives Handeln und die Bereitschaft zu wochenlanger Konzentrations- und Energiearbeit.
Die principalisch dominierte Klangpyramide des Hauptwerkes mit ihren flankierenden Füll- und Farbstimmen verdichtet sich durch das romantisch besetzte Schwellwerk zu einer vielschichtigen Klangdynamik süddeutscher Schule. Ein Ensemble ausgewählter Bässe übernimmt die Grundierung. Durch die von Schallreflexionsdächern unterstützte, offene Gehäusekonzeption entsteht eine expressive Unmittelbarkeit der Tonentwicklung. Sie fördert das jeder Stimme eigene Klangidiom und intensiviert Farbigkeit und Empfindung.
— Claudius Winterhalter
Technik
Die funktionalen Grundlagen des Orgelbaus stammen aus der Barockzeit und den Weiterentwicklungen des erfinderischen 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein Windverteilungssystem aus mehreren Funktionsgruppen, die das technische Profil einer Orgel bestimmen.
Im Mittelpunkt steht die Schleiflade, deren geniale Funktionalität von keinem anderen System verdrängt werden konnte. Durch ihre konstruktiven und klanglichen Eigenschaften, ihren geringen Platzbedarf und nicht zuletzt ihrer Wirtschaftlichkeit wegen, gehört sie heute zur Kernausstattung jeder neuen Orgel. Die 32 Register der Weingarten-Orgel verteilen sich auf sechs Laden in C/Cs- und Terzteilung. Die Ventile des abgeführten Bourdon 16’ und die Doppelventile der Manualladen werden zur Druckentlastung von C bis f über Barkerbälge aus der Hauptkanzelle angesteuert.
Ein großer Teil des Untergehäuses wird von Windanlage und Schleudergebläse beansprucht. Fünf, in der Nähe der Laden positionierte Bälge (Parallel-Schwimmer) mit Rolldrossel-Ventilen versorgen über mittelweite Windkanäle die Teilwerke mit stabilem, atmungsfähigem Wind.
Als Neukonstruktion haben wir erstmalig beweglich gelagerte Stahlpylone zur Abspannung der freitragenden Schallreflexionsdächer über den Prospektpfeifen eingesetzt.
Eine weitere Innovation betrifft die Horizontalzungenblöcke. Sie können zur Erleichterung von Wartung und Pflege über Vollauszüge mit Windführungstrennung komplett aus dem Sockelgehäuse herausgezogen werden. Der ungewöhnliche llluminationseffekt mit Photonen-LEDs in der Mittelstele ist gleichzeitig auch Gebläse-Kontrolllicht.
Die Qualität der Ton- und Registersteuerung als Primärfunktionen für die Bespielbarkeit einer Orgel sind als Wertungs-Kriterium für den Organisten von zentraler Bedeutung. Vorgespannte, einarmige Klaviaturen mit sensiblem Druckpunkt und exaktem Repetitionsverhalten fördern die Spielkultur, indem sie ermöglichen „am Wind“ zu spielen.
Anders als bei Klang oder Gestaltung sind technische Eigenschaften keine Frage des persönlichen Geschmacks, sondern messbar.
Wirklich leistungsfähige Orgeltechnik entsteht nicht nur aus Materialeinsatz und perfekter Konstruktion. Es ist die Summe vieler kleiner und kleinster Ausführungs-Details, durch die z. B. eine gute zu einer sehr guten Traktur wird. Funktionsgerechte Materialauswahl und handwerkliche Sauberkeit sind mehr als nur ästhetische Zugabe.
Die Bedeutung der Sekundärbereiche des technischen Innenaufbaus wie Windverteilung, Stütz- und Lagerwerk oder Funktionsadditive (z. B. Doppelregistrierung) liegt in der subsidiären Mitwirkung an einer homogenen Gesamtidee. Grundsätzlich ist die bewusste Eingrenzung auf das Wesentliche einer Funktionsüberfrachtung vorzuziehen.
— Claudius Winterhalter