Instrumente, Predigerkloster Erfurt Refektorium

Die Orgel Predigerkloster Erfurt Refektorium

Disposition

HAUPTWERK I
Principal 8‘
Salicional* 8’
Holzflöte 8‘
Octave 4‘
Rohrflöte* 4‘
Sesquialter 2 2/3’
Quinte** 2 2/3’
Super Octave 2‘
Mixtur IV 1 1/3‘
Quinte** 1 1/3’
NEBENWERK II
Salicional 8‘
Bourdon 8‘
Fugara 4’
Rohrflöte 4‘
Sesquialter II* 2 2/3’
Super Octave* 2’
Flageolet 2‘
Trompete 8‘
PEDAL
Subbass 16‘
Gedecktbass *** 8‘* Wechselschleife
** Vorauszug
*** Extension
KOPPELN
II – I
I – P
II – P
SUB II – II
(durchkoppelnd auf I)
TREMULANT
TRAKTUREN
Mechanische Tontraktur
Mechanische Registersteuerung
WINDDRUCK
65 mm WS
TUNUMFANG
Manual C – g’’’
Pedal C – f’
STIMMUNG
Ungleichschwebende
Temperierung nach
Kilian Gottwald Variante III
442 Hz/18°

Klasse statt Masse

H

offentlich durften Sie das schon einmal genießen: Sie halten eine Speisekarte mit nur wenigen Gerichten in Händen, um dann von einem köstlichen Mahl überrascht zu werden, kundig zubereitet aus erlesenen Zutaten. So verhält es sich mit der neuen Winterhalter-Orgel im Refektorium der Predigerkirche zu Erfurt.
Dieses einstige Refektorium, heute Gottesdienststätte, ist ein schlichter, heller und freundlicher Raum mit strenger Symmetrie und klaren Proportionen. Dem zweischiffigen Saal mit seinen fünf schlanken Säulen und den luftigen Kreuzgewölben mit ihren kunstvollen Schlusssteinen, durfte keinesfalls etwas unbedacht Störendes hinzugefügt werden. Überdies war der Orgelstandort an der nördlichen Stirnwand des westlichen Schiffes gegeben: Dort stand schon das ehemalige Positiv, und man verbaute weder einen Zugang noch eine Lichtquelle. Die neue Orgel sollte deutlich größer und vielseitiger werden. Also galt es, die dadurch naturgemäß entstehende optische Größe so zu komprimieren, dass sie sich zur Raumumgebung stimmig verhält, ohne Nachteile für das Instrument an sich.

Die äußere Gestaltung
Klassisch zentrierte Prospektformen schieden von vorneherein aus, schon wegen des seitlichen Standorts.

Vor dem Hintergrund der vielfach gegliederten Raumschale war es wichtig, dem Gesamtbild eine gewisse Ruhe zu geben.

Dies geschieht hier durch eine geradzahlige Prospektgliederung deren einzelne Felder jedoch gleichzeitig mit asymmetrischen Effekten aufwarten. Wir sehen eine Vorderfront mit vier abgestuften Turmfeldern, die zusätzlich noch leicht gegeneinander gekippt sind. Dieser Kniff wird vom Betrachter nicht bewusst wahrgenommen, schafft aber Plastizität und eine unterschwellige Spannung. Dazu ergänzend wurden die Lisenen überhöht durch schlichte Licht-Fialen. Sie sind zugleich eine Reminiszenz an die vorherrschende Gotik. Diese bewusste Vertikalbetonung wird aufgelockert durch geschweifte Prospektlabien die zum Raum hindeuten. Die bekrönenden Zierelemente bestehen aus Floatglas mit Goldeinschmelzungen die intensiver wirken als eine herkömmliche Polimentvergoldung. Einziger weiterer Farbakzent sind die roten Schutz-Zier-Gitter hinter den Füßen der Prospektpfeifen, die sich in den Farbenkanon des Raumes einfügen. Das Orgelgehäuse selbst hat der Schwarzwälder Künstler Frieder Haser auf seine typische Art in mehreren Farbschichten gefasst und so strukturiert, dass die Flächen leicht und luftig wirken. Durch den „über Eck“ geführten Pfeifen-
prospekt, wird das Gesamtbild im besten Sinn des Wortes abgerundet.

Wenige Register – breites Spektrum
Will man mit nur 14 Registern möglichst viele musikalische Bereiche – unterschiedliche Epochen, Orgellandschaften, aber auch liturgische und aufführungspraktische Situationen – erschließen, ist eine gewisse Freiheit von Überkommenem hilfreich. Gefragt ist eine strenge Ökonomie in der Auswahl der Register und ein zuträgliches Maß an Kreativität. Letzteres bedeutet keineswegs Beliebigkeit, denn es sollte ja eine zweimanualige Orgel entstehen, an der sich jeder Musiker leicht orientieren kann. Ergo war eine gewisse Werkstruktur mit zwei mal vier Stimmen sinnvoll. So sind vom ersten Manual aus Principal 8‘ (damit wird die Orgel „erwachsen“), Octave 4‘ und die krönende Mixtur (mit Vorabzug Quinte 1 1/3‘) spielbar; hinzukommt als verhaltene Ebene eine Holzflöte 8‘. In dieser Besetzung kann man den Kernbestand eines klassischen Hauptwerks sehen – aber eben nicht nur. – Das zweite Manual enthält ein leises Gedackt 8‘, eine kräftige Fugara 4‘ und ein sehr weites Flageolet 2‘. Deutet sich schon hierin ein gewisses Gewicht dieses vermeintlichen Nebenwerks an, so vervollständigt die Trompete das kleine Ensemble zu einem wahren Kraftpaket. Damit wird jene Unwucht vermieden, die zwischen den Manualen kleinerer Orgeln oft zu beobachten ist; außerdem kann die Trompete unabhängig vom Plenum mittels Pedalkoppel im Bass gespielt werden. – Schwer zu entscheiden ist bei begrenzten Ressourcen, wo in solchen Fällen Flöte, Streicherstimme, Aliquote etc. zu disponieren sind. Als „Joker“ sind sie hier zusammen mit der Octave 2‘ mittels Wechselschleifen wahlweise auf dem ersten oder dem zweiten Manual spielbar. Dies eröffnet sehr viele zusätzliche Möglichkeiten, zumal aus Sesquialtera per Vorabzug auf dem ersten Manual die Quinte verfügbar ist. Nicht zuletzt aus Platzgründen musste im Pedal eine Pfeifenreihe (Subbaß 16‘ und Gedacktbaß 8‘) genügen. –

Durch geschicktes Registrieren kann dieser knappe Bestand sehr abwechslungsreich genutzt werden.

Hilfreich sind dabei die drei Normalkoppeln, zu denen noch eine Suboktavkoppel im zweiten Manual kommt. So ergibt sich insgesamt der Klang eines großen Instrumentes auf 16‘-Basis.

Fülle und Farbenvielfalt wecken
Der Schlüssel zur Farbenvielfalt liegt jedoch vor allem in der Kunst des Mensurierens und Intonierens. Wie Claudius Winterhalter für die Gesamtplanung, hat sich Intonateur Kilian Gottwald für die Klanggestaltung ganz auf den Raum eingelassen. Eine glückliche Mensurierung ist Voraussetzung und Grundlage für die Klanggebung. Damit diese aber die nötige Individualität erreicht, müssen gewisse Parameter flexibel bleiben. Intonation heißt ja, einer jeden einzelnen Orgelpfeife genau den Klang zu geben, der dem jeweiligen Raum zuträglich ist. Dazu gehören die passende Lautstärke, ein angenehmer Tonansatz (nicht knallend, nicht zu schleppend) und eine charakteristisches Obertonspektrum, das wir als Klangfarbe wahrnehmen. Hier im Refektorium stellte sich schnell heraus, dass man mit der Lautstärke vorsichtig sein muss und der Tonansatz eher weich gehalten werden sollte. Die Akustik ist sehr direkt, die Töne breiten sich ungehindert und fast gleichmäßig im Raum aus; die Schall-Laufzeit (Hall) ist gering.
Insgesamt sind dies günstige Bedingungen für die Formung schöner Orgelklänge,
andererseits „verzeiht“ diese sensible
Hörsamkeit nichts.
Kilian Gottwald nutzt bei seiner Arbeit insbesondere eine langjährige Erfahrung als Sänger, Gesanglehrer und Chorleiter. Auf dieser Basis schätzt er ein, welche Registerfarben, welche Kombinationen etwa für die Begleitung des Gemeindegesangs, den solistischen Vortrag oder die Unterstützung eines Instrumentalensembles genau in dieser Akustik geeignet sind. Hierzu kommen ständige Klangtests etwa mit Kantorengesang. Zur Wahrheit gehört aber auch ein ordentliches Quantum Risikobereitschaft: Nicht immer ist bis ins letzte planbar,
wohin die klangliche Reise geht und gerade bei diesem Instrument hat der Intonateur seine Vorstellungen im Laufe der Arbeiten vor Ort weitreichend modifiziert. Zu wünschen ist den Musikern, dass sie sich ebenso positiv von den vielfältigen Möglichkeiten überraschen lassen, wie man dies während der Intonation erleben durfte.
Ursprünglich war dies der Ort, an dem sich die Konventualen des Predigerklosters stärkten: zunächst an Leib, sicher aber auch an Seele. Man denke an Meister Eckhart, der im 13. Jahrhundert just an diesem Ort seine mystisch und theologisch weit reichenden Gedanken mit den Hörern teilte, etwa in Form der klösterlichen Tischlesung. Heute dient das Refektorium als Winterkirche sowie als Ausbildungsstätte für die Kirchenmusik und als würdiger Konzertraum.
Der reichhaltigen Thüringer Orgellandschaft wurde mit diesem Instrument ein weiterer Akzent hinzugefügt, der neugierig macht.

Markus Zimmermann

Immer ist
die wichtigste Stunde
die gegenwärtige,
immer ist
der wichtigste Mensch,
der dir gerade gegenüber steht,
immer ist
die wichtigste Tat
die Liebe.

Meister Eckhart