Darmstadt - St. Ludwig, Hörproben, Instrumente

St. Ludwig Darmstadt

[soliloquy slug=“die-orgel-darmstadt“]

Disposition

GRAND ORGUE (MAN. I)
BOURDON 16’
MONTRE 8‘
FLÛTE HARMONIQUE 8‘
GAMBE 8‘
PRESTANT 4‘
FLÛTE CREUSE 4‘
DOUBLETTE 2‘
FOURNITURE IV/V 2‘
CORNET V G° 8‘
BOMBARDE 16‘
TROMPETTE 8‘
CLAIRON EN CHAMADE 4‘
POSITIF (MAN. II)
MONTRE 8‘
SALICIONAL 8‘
COR DE NUIT 8‘
FLÛTE ALLEMANDE 8‘
PRESTANT 4‘
FLÛTE DOUCE 4‘
NAZARD 2 2/3‘
QUARTE DE NAZARD 2‘
TIERCE 1 3/5‘
PLEIN JEU IV 1 1/3‘
CROMORNE 8‘
RÉCIT EXPRESSIF (MAN. III)
QUINTATON 16‘
DIAPASON 8‘
FLÛTE TRAVERSIÈRE 8‘
BOURDON 8‘
VIOLE DE GAMBE 8‘
VOIX CÉLESTE C° 8‘
FLÛTE OCTAVIANTE 4‘
VIOLE 4‘
OCTAVIN 2‘
TROMPETTE HARMONIQUE 8‘
BASSON-HAUTBOIS 8‘
CLAIRON 4‘
PÉDALE
BOURDON 32‘
SOUBASSE 16’
MONTRE 16‘
BASSE 8‘
VIOLONCELLE 8‘
FLÛTE 4‘
BOMBARDE 16‘
TROMPETTE 8‘
KOPPELN
TREMBLANT POSITIF
TREMBLANT RÉCIT
COPULA POSITIF AU GRAND-ORGUE (II-I)
COPULA RÉCIT AU GRAND-ORGUE (III-I)
COPULA RÉCIT AU POSITIF (III-II)
OCTAVES GRAVES RÉCIT AU GRAND-ORGUE (III-I SUB)
TIRASSE GRAND-ORGUE (I-P)
TIRASSE POSITIF (II-P)
TIRASSE RÉCIT (III-P)
TIRASSE RÉCIT OCTAVES AIGUES (III-P SUPER)
EXPRESSION DE JEUX DU RÉCIT (JALOUSIESCHWELLER)
SETZER 11 x 99 x 8 x 8
STIMMTONHÖHE
A° 440 HZ / 16°C
TEMPERIERUNG
STIMMUNG GLEICHSTUFIG
TONUMFANG
MANUALE C – A3 PEDAL C – G1
SACHBERATUNG
ACHIM SEIP

Loge für die Königin

Vom zentral gelegenen Luisenplatz aus, entlang der ansteigenden Wilhelminenstraße, erblickt man auf deren Anhöhe die kupferne Rundkuppel der Ludwigskirche. Nach dem Vorbild des römischen Pantheon entstand in den Jahren 1822-27 unter Leitung des großherzoglichen Star-Architekten Georg Moller ein klassizistischer Zentralbau von beinahe 40 m Höhe und ebensolchem Durchmesser. Das wuchtige, von Pilastern gegliederte Äußere, steigert sich beim Betreten der Kirche zu einem eindrucksvollen Innern. Auf mächtigen korinthischen Säulen ruht die hoch aufragende Kuppel, bekrönt von einer verglasten Öffnung, die als einzige Lichtquelle dem Raum seine besondere Atmosphäre gibt. 1944 durch Bomben stark zerstört, erhielt die Kirche nach einem rekonstruierenden Wiederaufbau in der Nachkriegszeit erst in den vergangenen Jahren ihre endgültige Fassung. Durch das neu geschaffene Ensemble aus historischer Form und aktualisierter Innenästhetik wirkt die Ludwigskirche jetzt überzeugender denn je. Und das steht ihr gut an. Ist sie doch neben den Domen von Mainz und Worms eine der Hauptkirchen der Diözese.

Seit mehr als zwanzig Jahren werden in Deutschland größere Orgeln immer wieder gerne „französisch“ gebaut, auch wenn es inzwischen einen Trend zur deutschen Romantik gibt. Es ist der Klang, der fasziniert, und die Hoffnung der Organisten auf ein möglichst authentisches Musizieren. Zumeist handelt es sich um Instrumente mit einem Teilwerk im französischen Stil, selten wird die ganze Orgel so gewünscht. Ihre Dispositionen lesen sich wie Rezepte mit französischen Zutaten für eine „Haute Cuisine“ des Orgelklangs. Und es ist wahr:

Mit aufgeschäumter Knoblauchbutter und einer guten Flasche Bordeaux wird vieles eben einfach feiner… Das war auch in Darmstadt und in Mainz bekannt, als man sich für eine französische Orgel à la Cavaillé-Coll entschied – und für uns.

Aristide Cavaillé-Coll (1811-1899), der Großmeister der französischen Orgelwelt des 19. Jahrhunderts, hat mit seinen Instrumenten Generationen von Komponisten beeinflusst und den romantisch-symphonischen Orgelbaustil dieser Epoche wie kein anderer geprägt. Er gilt für viele als der Maitre d‘ Orgue schlechthin.

Den Beteiligten in Darmstadt ging es nicht um den reproduzierten Nachbau einer Cavaillé-Coll-Orgel in allen Details. Das wäre vermessen, kaum bezahlbar und auch nicht wirklich sinnvoll. Nach der großen technischen wie musikalischen Revolution des Orgelbaus im 19. Jahrhundert (und zigtausend neue Orgeln später), können wir am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr so empfinden wie die Menschen damals und auch nicht so tun.
Manche technische Neuerung hat sich inzwischen in der aktuellen Orgelwelt als innovativer Fortschritt im Sinne echter Verbesserung etabliert (Welcher Organist möchte heute bei einer großen Orgel auf die Segnungen elektronischer Speichermöglichkeiten verzichten?). Und was das Thema Prospektgestaltung angeht, so gibt es bei CC, mit Ausnahme eines damals üblichen Neo-Stils und diverser Architektenentwürfe, kaum den Wiedererkennungseffekt einer einheitlichen Formensprache. Immer wieder hat er vorhandene Gehäuse einfach übernommen, ergänzt oder verändert. Aus Respekt, aber auch weil er als Unternehmer handelte und ökonomisch dachte. Eine Reproduktion Cavaillé-Coll-scher Ideale kann sich deshalb nur auf dessen klangliche Komponente beziehen, denn vor allem dort hat er neue Dimensionen eröffnet, die nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben.

Die Klangsprache guter Orgeln ist vor allem ein Produkt persönlicher, künstlerischer Wahrnehmung ihrer Klanggestalter und solider handwerklicher Arbeit, flankiert von der bautechnischen Qualität des Instruments und den akustischen Bedingungen des Raumes.

Bei vielen Hörproben von Caen bis Lyon haben wir die Bestätigung dieser Zusammenhänge erlebt und immer wieder festgestellt: Cavaillé-Coll ist durch alle Schaffensperioden, Mensuränderungen und Dispositionsverlagerungen stets die Vereinbarkeit scheinbarer Gegensätze des Orgelklangs gelungen: Fülle macht nicht dick, Kraft wird niemals aufdringlich, Intensität wirkt subtil, Farbenvielfalt ist nicht einfach bunt. Und über allem Wohlklang liegt ein Hauch diffuser Transparenz, ähnlich einem Wassernebel vor dem Sonnenlicht… Die Magie vollkommener Durchdringung einer universalen Klangkunst.

Bei aller Wertschätzung historischer Vorbilder darf sich der Orgelbau, gerade in der Klang-gestaltung, nicht auf eine harmonisierende Interpretation vorgefundener Strukturen beschränken. Vom Orgelbauer zu erwarten, er könnte einen bestimmten Orgelklang möglichst genau imitieren, wäre der absurde Versuch, die klangbildnerische Kunst von damals auf ein künstlich gealtertes Surrogat von heute zu reduzieren. Selbst die im Vergleich zum Barock weniger individuell ausgeprägte Arbeitsweise der Intonateure des 19. Jahrhunderts kann bestenfalls nachgeahmt werden. Anhand gemessener, exakt nachgebauter Originalmensuren und anderer „harter Fakten“ (Winddrücke, Ladensystem etc.) entsteht eine bewusst subjektive Annäherung an das Original und gleichwohl, weil unvermeidbar, etwas neues, anderes. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn das gelingt, wird die genuine Darstellung von Orgelmusik der einen (…Franck, Widor, Vierne…) nicht den Ausschluss der anderen (…Bach, Liszt, Reger…) bedeuten, die Moderne inbegriffen.

Die Geschichte des Orgelbaus stand nicht immer nur in einer positiven Wechselwirkung von retrospektiver Betrachtung und perspektivischen Handelns. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es gilt, Ererbtes zu bewahren und Neues zu wagen, um sich mit Herz und Verstand den wachsenden Herausforderungen zur Schaffung dieser Königin der Instrumente in unserer Zeit zu stellen. In dieser Haltung liegt eine große Chance für den aktuellen Orgelbau. Sie ist seine Zukunft.

Ausstattung und Technik
Wenn Orgelbauer für die räumlichen Voraussetzungen ihrer Arbeit drei Wünsche frei hätten, würden sie sich ausreichende Bauhöhe, angemessene Grundfläche und eine angenehme Akustik wünschen. Und weil das meistens nicht zusammentrifft, sollte noch ein vierter Wunsch möglich sein: Das ihnen immer die beste Lösung einfällt, um nicht erfüllbares der anderen drei Wünsche auszugleichen… Die Orgel von St. Ludwig steht über dem Windfang des Haupteingangs, hinter Säulen, auf einer gebogenen Empore mit wenig Platz und zweierlei Bodenniveau, mit mehr Bauhöhe als man brauchen kann und in der dramatischen Akustik eines kreisrunden Kuppelraumes…

Die konzeptionelle Idee folgt der Situation des Aufstellungsplatzes und dessen Eigenheiten. Wir haben deshalb die Orgel zwischen vier Säulen auf zwei Ebenen in drei Teile geteilt. Die daraus resultierenden Anforderungen an Innenstruktur und Funktionalität aller Baugruppen dürfen als komplexe Spitzenleistung der Orgeltechnik gelten. Alle konstruktiven Ausführungsmerkmale bei der Realisierung der neuen Orgel entsprechen dem handwerklich-technischen Stil unserer Werkstatt. Es geht uns dabei nicht um historisierende Traditionspflege, sondern um den hohen Anspruch, musikalische und funktionale Zielsetzungen miteinander in Einklang zu bringen.

Im Sockelbereich des Mittelgehäuses befindet sich eine großzügige Spielanlage, deren Bedeutung schon durch ihre zentrale Position unterstrichen wird. Als „Schaltstelle“ und „Nervenzentrum“, aber auch als Ort der haptischen Begegnung des Organisten mit dem Instrument, ist sie ein besonders wichtiges Ausstattungsstück der neuen Orgel. Ihre elegante Ästhetik wird bestimmt von drei Manualklaviaturen mit beidseitig angeordneten Registerzügen und leicht erreichbaren Koppel- und Setzerfunktionen. Übersichtliche Klarheit, ergonomische Ausgewogenheit und eine hochwertige Materialauswahl (u.a. Ebenholz, Riegelahorn mit Schellack, Porzellan…) bieten dem Orgelmusiker an seinem Arbeitsplatz Sicherheit und Wohlbefinden.
Die Trakturen der zweiarmigen Manuale und des Pedals werden via Trakturbegleitern und flexiblen Winkelbalken mit vorspannender Regulierung an die Laden geführt. Zur Vermeidung von Reibungsverlusten sind die langen, aufwändig umgelenkten Abstraktenbahnen (72°) von Positif und Pedale in ihren Führungen „gependelt“. Die tiefen Lagen der Manualtrakturen wurden zur Entlastung des Tastendrucks mit Barkerhilfen ausgestattet. Über der dreimanualigen Spielanlage steht das Grande Orgue mit Prospektanteilen aus Montre 8‘, Flute harmonique 8‘ und eines vollständigen Clairon 4‘ als Horizontalzunge. Dahinter befindet sich ein breit angelegtes Récit expressif, seitlich flankiert von den freistehenden Holzpfeifen des Bourdon 32‘. Die beiden großen C–Cs-Außentürme bergen das Pédale und das zur Mitte hin orientierte Positif. Die bis zu 8 m langen Prospektpfeifen sind dem Montre 16‘, Basse 8‘ und dem Positif-Montre 8‘ entnommen.

Sieben Schwimmerbälge mit differenzierten Winddrücken von 77 bis 100 mm Wassersäule. bilden die angemessene Windanlage für das Klangziel einer Orgel dieses Zuschnittes. Die großen „Windschlucker“ des Bourdon 32 werden direkt aus einem im „Glockenturm“ untergebrachten „Langsamläufer“-Gebläse versorgt.

Alle Bestandteile der Orgel wie Stütz- und Tragwerk, Bälge, Windkanäle, Windladen und Registergestänge sind fast ausnahmslos aus massivem Eichenholz gefertigt. Aus gestalterisch-funktionalen Gründen haben wir bei den gebogenen Gehäuseelementen und den Schallreflexionsdächern, Eichen- und Fichtenholz aus schichtverleimten Tafeln bevorzugt.

Zur Unterstützung der Raumbeschallung wurden die großen Gehäusetürme soweit wie möglich nach vorne platziert und über die Emporenbrüstung gebaut. Große, vertikal gestaffelte Klanglamellen an den Außenwänden lenken die tiefen Frequenzen indirekt in den Raum. Dadurch können wir dem überdurchschnittlichen Verlust direkter Klangenergie zwischen Kolonnadenbereich und Kuppelraum entgegenwirken und gleichzeitig nachteilige Schalldruckeffekte in den Basslagen vermeiden.

Möge die neue Orgel von St. Ludwig zur Ehre Gottes und Freude der Menschen ein hohes Alter erreichen.

Claudius Winterhalter