Christuskirche Kronshagen, Instrumente

Die Orgel Christuskirche Kronshagen

Disposition

HAUPTWERK I
Bourdon 16‘
Principal 8‘
Soloflöte 8‘
Gemshorn 8‘
Octave 4‘
Rohrflöte 4‘
Superoctave 2‘
Mixtur IV 1 1/3‘
Trompete 8‘
SCHWELLWERK II
Geigenprincipal 8‘
Doppelgedeckt 8‘
Viola di Gamba 8‘
Vox coelestis 8‘
Fugara 4‘
Traversflöte 4‘
Sesquialter II 2 2/3‘
Quinte** 2 2/3’
Flageolet 2‘
Oboe 8‘
Tremulant
PEDAL
Subbass 16‘
Octavbass* 8‘
Bassflöte* 8‘
Bassoctave* 4‘
Posaune 16‘
Trompete* 8‘
*Transmission HW/Ped
**Vorabzug aus Sesquialter
KOPPELN
II-I
SUB II-I
I-P
II-P
SUPER II-P
TONTRAKTUR
Mechanisch
REGISTERTRAKTUR
Mechanisch
PIANO-PROGRESSION
Balanciertritt für Schwellwerk
STIMMTONHÖHE
440 Hz / 17° C
TEMPERIERUNG
gleichstufig modifiziert
Gottwald 3
TONUMFANG
Manual C-a3
Pedal C-f1
WINDDRÜCKE
HW 75 / SW 80 / PW 100
Einweihung
8. Oktober 2023

Kreativ und Vielseitig

D

ie evangelisch-lutherische Kirche Kronshagen wurde 1961 als roter Backsteinbau mit freistehendem Glockenturm errichtet. Zwei Jahre später erhielt sie ihre erste Orgel, erbaut von dem damals in Norddeutschland und darüber hinaus bekannten Orgelbauer Detlef Kleuker (Brackwede, heute zu Bielefeld gehörig). Auf zwei Manualen und Pedal verfügte sie über 24 klingende Stimmen, gesteuert über eine mechanische Traktur. Der Klang war für die damalige Zeit typisch: hell, spitz und scharf, aber auch spröde: so stellte man sich die Wiedergabe der älteren Musik eines Buxtehude oder Bach vor, aber auch von Komponisten, die in Nachfolge dieser Meister schrieben – von Hugo Distler über Ernst Pepping zu Siegfried Reda. Optisch entsprach sie dem, was zu dieser Zeit üblich war: Klare Rechteckfelder, in diesem Fall erbaut aus braun furnierten Tischlerplatten.
Im Laufe der Jahre waren einige Register der Orgel kraftlos geworden – durch Materialermüdung und Ablagerungen von Dreck. Bald traten auch technische Probleme auf, die Reparaturen nach sich zogen. Die beim Bau verwendeten Materialien – viel Kunststoff, beim Holz Tischlerplatten, zu weiches Pfeifenmetall und Aluminiumtrakturen – versagten ihren Dienst früher als erwartet oder führten anderweitig zu massiven Problemen. Die Prospektpfeifen drohten aufgrund zu schwachen Materials herauszufallen; einige kleinere Pfeifen waren nicht mehr stimm- und spielbar – sie waren schlicht zu verbogen; die Traktur war schwergängig – und eine Reparatur der übrigen Mängel hätte diese große Einschränkung ebenso wenig beheben können wie die als problematisch empfundene klangliche Gesamtanlage: So wurde über die Jahre der Ruf nach einer neuen Orgel immer lauter.
Nachdem zunächst die Kirche grundlegend renoviert worden war, eine Maßnahme, bei der im Innenraum die Oberflächen glatter wurden und der Gesamteindruck – auch in akustischer Hinsicht – aufgeräumter, heller und klarer, reifte der Entschluss zum Orgelneubau. Vielleicht kam dabei unterstützend der Umstand zum Tragen, dass am 7. Dezember 2017 im südkoreanischen Jeju die Entscheidung gefallen war, Orgelbau und Orgelspiel in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufzunehmen. Dies führte zu einem neuen Selbstbewusstsein derer, die sich der Orgel verschrieben haben, und zu erheblich mehr Rückendeckung. Worum ging es bei dieser epochemachenden Entscheidung, die von vielen – insbesondere in Deutschland – vorbereitet worden war? Kurzgefasst um nichts anderes, als was die evangelisch-lutherische Christusgemeinde in Kronshagen nun auch für sich haben wollte: Handwerklich hochwertigen Orgelbau, wie man ihn bislang vermisst hatte, mit den vielseitigen musikalischen Möglichkeiten einer sorgfältig disponierten und intonierten Orgel, die in vielen Stilen zuhause ist. Für die Gemeinde waren die leitenden Gedanken, mit den Mitteln der (Orgel-) Musik nicht nur das Evangelium zu verkündigen, sondern auch Trost spenden und Gemeinschaft bilden zu können.

»Die orgl ist doch in meinen augen und ohren der könig aller instrumenten.«


(Wolfgang Amadé Mozart in einem Brief
an seinen Vater)
Nachdem der Beschluss zum Bau einer neuen Orgel erst einmal gefasst war, entfaltete die Kirchengemeinde sogleich bislang ungeahnte Aktivitäten des Fundraisings, um den feierlichen Orgelklang für die Gottesdienste, für Trauungen und Konfirmationen, Trauerfeiern und schließlich auch in Konzerten wiederzuerlangen. Mit ihren Aktivitäten gewann sie sogar den Fundraising-Preis der Landeskirche! So kam in wenigen Jahren die schier unglaubliche Summe von mehr als 300.000 Euro zusammen, weit mehr als nur ein ›Grundstock‹ für den Bau des neuen Instruments.
Gleichwohl führten finanzielle Beschränkungen dazu, dass die neue Orgel etwas kleiner ausfallen sollte als ihre Vorgängerin: nur noch 20 Register, ebenfalls auf zwei Manualen und Pedal. Claudius Winterhalter löste die knifflige Frage nach der bestmöglichen Disposition in Zusammenarbeit mit dem Orgelsachverständigen Hans-Martin Petersen (Lübeck) so, dass er – ausgehend von den Funktionen bzw. Aufgaben des Instruments in Liturgie und freiem Spiel – zwei gut ausgestattete Manuale plante, die von einem nur mit dem Notwendigsten besetzten Pedal begleitet werden. Ähnliche Konzeptionen lassen sich bereits an historischen Orgeln finden, beispielhaft etwa in Sachsen bei den kleineren Orgeln von Gottfried Silbermann; und im Norden hat der bekannte Orgelbauer Arp Schnitger sogar immer wieder Orgeln ganz ohne Pedal, dafür aber mit gut besetzten Manualen geschaffen. Winterhalter geht noch einen Schritt weiter: Er borgt einzelne Register im Hauptwerk als ›Transmissionen‹ in das Pedal aus, um so dessen Variationsbreite zu erweitern.

»Orgel spielen heißt, einen mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen zu offenbaren.«


(Der Pariser Organist, Komponist und
Pädagoge Charles-Marie Widor)
Das Ergebnis ist ein Instrument mit klaren Konturen: Ein Hauptwerk, dessen Rückgrat aus einem Principalchor (Principal 8′, Octave 4′, Superoctave 2′ sowie Mixtur) besteht, der sowohl für den Forte-Klang der Orgel bei der Begleitung des Gemeindegesangs als auch als klangliche Basis einschlägiger feierlicher Orgelliteratur – etwa eines Präludiums von Johann Sebastian Bach – zu dienen vermag. Erweitert wird der Principalchor durch den Bourdon 16′, eine Trompete 8′ sowie zwei Flöten (8′ und 4′); die Soloflöte 8′ verleiht dem Hauptwerk ein besonders charakteristisches Profil, eine aparte Farbe: sie lässt sich für solistische Zwecke einsetzen und in aparten Mischungen mit dem zweiten Manual kombinieren.
Das zweite Manual ist dem Hauptwerk absolut ebenbürtig. Es steht in einem Schwellkasten und kann so dynamisch flexibel reguliert werden. In diesem Werk finden sich all diejenigen Stimmen, die dem Rückgrat der Orgel Schwung, Dynamik, Farbe und Glanz verleihen: Vier Register in der 8′-Lage, vom Geigenprincipal über Doppelgedeckt und Viola di Gamba (also eine flötige und eine streichende Stimme) bis zur schwebend gestimmten Vox coelestis, die ihre mystische Wirkung besonders im geschlossenen Schwellkasten entfaltet, dazu mit Fugara und Traversflöte 4′ zwei ausgesprochen charakteristische romantische Klangfarben, schließlich mit Sesquialter, Flageolet und Oboe Farbregister für verschiedene Solomischungen und Klangwirkungen, wie sie nicht nur in barocker, sondern auch in französisch-romantischer Musik gebraucht werden. Was fehlt? Auch wenn man natürlich viele weitere Wünsche haben kann – in frappierender Weise fehlt zunächst einmal: nichts!
Dass die Disposition sich denn auch weniger als ›typisch‹ für eine bestimmte Orgellandschaft, sei sie nun eher im Norden oder im Süden verortet, lesen lässt, sondern durch die Vielzahl ihrer Möglichkeiten besticht – jenseits aller Konventionen und Traditionen, macht den Reiz des Musizierens aus: Die Orgel bietet einerseits die erforderlichen Farben für Musik ganz verschiedener Herkunft, andererseits fordert ihre Disposition immer wieder zu unkonventionellen Lösungen heraus und inspiriert zu ungeahnten Klangwirkungen beim Improvisieren. Und sie lebt von der Verwendung differenzierten Materials (Holzpfeifen und Legierungen aus Zinn und Blei in unterschiedlicher Zusammensetzung) und von der sorgfältigen Intonation der Einzelstimmen (Kilian Gottwald, der auch eine eigene Modifikation der gleichschwebenden Stimmung angelegt hat); sie entfaltet ihre Wirkung jeweils für sich und in aparten Kombinationen untereinander.
Die Zusammenstellung der Register ist auf diese Weise weniger das Ergebnis eines Knobelns, Abwägens, Hinzufügens oder Weglassens (obwohl sicher all dies bei ihrer Entwicklung notwendig war), sondern einer Haltung gegenüber der Orgelkunst: kreativ und vielseitig, der Tradition verpflichtet und trotzdem offen für Neues. Wie könnte dies besser zum Ausdruck gebracht werden als in der Gestaltung des sachlich gestaffelten Prospektbildes, mit dem Claudius Winterhalter optisch auf die Formensprache des Raumes reagiert, zugleich aber den Aufbruch zu neuen Ufern symbolisiert – als ein dynamisches, tanzendes Instrument, das seinen Spielerinnen und Spielern keine Beschränkungen auferlegt!
Matthias Schneider