Disposition
HAUPTWERK C-a’’’ 1. Praestant 16‘ 2. Principal 8‘ 3. Flaut travers 8‘ 4. Viola di Gamba 8‘ 5. Copel 8‘ 6. Quintadena 8‘ 7. Octave 4‘ 8. Rohrflöte 4‘ 9. Quinte 2 2/3‘ 10. Superoctave 2‘ 11. Mixtur minor 2‘ 12. Mixtur major 2‘ 13. Cornet V 8‘ 14. Fagott 16‘ 15. Trompete 8‘ |
POSITIV C-a’’’ 16. Quintadena 16‘ 17. Praestant 8‘ 18. Unda maris 8‘ 19. Rohrflöte 8‘ 20. Salicional 8‘ 21. Kavalflöte 8‘ 22. Principal 4‘ 23. Spitzflöte 4‘ 24. Gemsflöte 2‘ 25. Hörnle II 2 2/3‘ 26. Cymbel IV 1‘ 27. Clarinet douce 8‘ Tremulant |
SCHWELLWERK C-a’’’ 28. Violon 16‘ 29. Geigenprincipal 8‘ 30. Flaut dupla 8‘ 31. Viola 8‘ 32. Bifara 8‘ 33. Fugara 4‘ 34. Traversflöte 4‘ 35. Quintflöte 2 2/3‘ 36. Flageolet 2‘ 37. Terzflöte 1 3/5‘ 38. Mixtur IV 1 1/3‘ 39. Trompette harm. 8‘ 40. Hautbois 8‘ 41. Vox humana 8‘ 42. Clairon 4‘ Tremulant |
PEDAL C-f’ 43. Bourdon 32‘ 44. Contrabass 16‘ 45. Praestant 16‘ 46. Subbass 16‘ 47. Violonbass 16‘ 48. Octavbass 8‘ 49. Bassflöte 8‘ 50. Violoncello 8‘ 51. Bassoctave 4‘ 52. Bombarde 16‘ 53. Fagott 16‘ 54. Trompete 8‘ |
KOPPELN mechanisch II-I I-P II-P elektrisch III–I III-II SUB III-I SUB III-II SUB III-III III-P |
Balanciertritt für Schwellwerk mit Piano-Progression |
Glockencymbel |
Stimmtonhöhe/Temperierung 440 Hz/15° C – modifiziert gleichstufig |
Himmlische Melange – OrgelKlangRaum
Präludium
D
ie neue Winterhalter-Orgel der Basilika Ulm-Wiblingen möge – wie jedes liturgische Werkzeug – dazu dienen, Gott zu loben und zu preisen, sowie die Seelen der Gläubigen zu erfreuen, zu erbauen und in Richtung Himmel zu lenken.
Die Kirche hat mit keiner geringeren Autorität als der des 2. Vatikanischen Konzils feierlich dazu aufgerufen, die Pfeifenorgel in der katholischen Kirche als traditionelles Musikinstrument „in hohen Ehren“ zu halten; denn, so heißt es in der Liturgiekonstitution wörtlich, „ihr Klang vermag die Ausstrahlung der kirchlichen Liturgie wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Höheren emporzuheben“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 120).
Ihr Glanz und ihre Kraft, aber auch ihre sphärischen Töne ergreifen den ganzen Menschen, wenn er seine Seele dafür öffnet. Die schier unbegrenzte Tondauer der Orgel symbolisiert die Ewigkeit, ihre klangliche Gewalt die Allmacht des Höchsten, ihre Zartheit seine Liebe. All jene Eigenschaften vermag dieses neue Winterhalter-Instrument in sich zu vereinen. Nicht nur ein tosendes Tutti aller Stimmen und das zarteste Säuseln, sondern auch die Zwischenstufen-Registermischungen in allen möglichen dynamischen und farblichen Schattierungen bilden Klänge für alle Lebenslagen aus: Freude, Glück, Zufriedenheit, Wut, Trauer, Schmerz oder Melancholie.
Orgel
Das Instrument bildet allein schon optisch – um in der Sprache der Musik zu bleiben – einen echten Kontrapunkt zur wunderschönen klassizistischen Ausgestaltung des Kirchenraumes und des gegenüberliegenden Chorraums und Altares.
Da die seit jeher projektierte Hauptorgel zuvor niemals gebaut worden war, gab es auch keinen historischen, der Raumgestaltung angepassten Orgelprospekt, wie dies in den meisten anderen spätbarocken Klosterkirchen der Fall ist. Eine ähnliche Ausgangssituation fand sich in früheren Zeiten auch in den Klosterkirchen von Ottobeuren und Zwiefalten. In letzterer hatte man die Orgel nach der Säkularisierung in die Stiftskirche nach Stuttgart verbracht – als Geschenk des Württembergischen Königs.
Anders die Lösung in Ulm-Wiblingen: Der neue, in den Raum hineinkomponierte Orgelprospekt nimmt Elemente der klassizistischen Innenausstattung auf, ohne sie zu kopieren.
Die vertikalen Linien der Emporensäulen werden im Orgelprospekt weitergeführt, der Blick des Betrachters nach oben gerichtet – letztlich über die Orgel hinweg zum ausgemalten Deckengewölbe bzw. in Richtung Himmel. Somit stellt die neue Orgel einerseits ein individuelles und zeitloses Schmuckstück dar, andererseits weist sie über sich hinaus.
Klang
Die Disposition präsentiert sich von der Anlage her universell, zeigt aber dennoch einen deutlich regionalen Einschlag: Eine breite Palette an Grundstimmen differenzierter Auswahl in allen Abstufungen bis hin zu feinsten Pastellfarben knüpft deutlich an die süddeutsche Orgelbautradition an, die in Oberschwaben Ende des 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Bedeutende Orgelbauer wie Johann Nepomuk Holzhey, Joseph Gabler oder Karl Joseph Riepp gestalteten spätbarocke Meisterwerke, die mit ihrer Ausrichtung auf maximale Farbigkeit und Differenziertheit aus dem Geist der Empfindsamkeit in Richtung der sich eigentlich erst später entwickelnden Romantik des 19. Jahrhunderts weisen. In gewisser Weise spiegeln diese teilweise heute noch erhaltenen, wertvollen Instrumente auch den Kosmos des prachtvoll ausgestalteten Kirchenraumes wider – das Ganze als eine sinnliche und ganzheitliche Symbiose: Orgel, Raum und Klang.
Die Winterhalter-Orgel der Basilika Wiblingen greift genau diese Gestaltungsprinzipien auf: ein großes und abwechslungsreiches Grundstimmenensemble in jedem der drei Manualwerke, im Pedal auf einem 32´-Register basierend, darunter – neben einem selbstverständlich gut ausgebauten Prinzipalchor – viele schöne Einzelfarben und typische „Galanterieregister“ (überblasende Flöten, zwei Schwebungen, Streicher in allen Fußtonlagen). Als sehr charakteristisch süddeutsch kann man die terzhaltige „Mixtur major“ des Hauptwerks bezeichnen oder auch die weit mensurierten gemischten Aliquotstimmen (Obertonregister) wie z. B. das „Hörnle 2fach“ des Positivs.
Die Zungenregister sind ebenfalls mannigfaltig vertreten: Die starken Zungenchöre von Pedal, Hauptwerk und Schwellwerk färben den Gesamtklang des Plenums ungemein ein und geben dem Instrument Monumentalität. Die lyrischen Zungenstimmen „Hautbois“, „Clarinet Douce“ (bei J. N. Holzhey zu finden) und „Vox humana“ bieten reizvolle solistische Verwendungsmöglichkeiten.
Als Besonderheit gilt die horizontal ausgerichtete Flöte. Diese sogenannte „Kavalflöte“ ist nach einem an der unteren Donau beheimateten, historischen Flöteninstrument der Hirten benannt und bietet mit ihrem direkt in den Raum sprechenden Ton hervorragende solistische Registriermöglichkeiten.
Das an den oberschwäbischen Orgelbau anknüpfende Klangkonzept des Wiblinger Instruments wurde überdies durch Elemente des 19. und 20. Jahrhunderts erweitert (Schwellwerk, Oktavkoppeln, Setzeranlage) und so die Brücke über die symphonische Klangwelt hin zum modernen Orgelbau der Gegenwart, der sich neben den traditionellen Techniken auch computergesteuerte Elektronik zur Speicherung der Registrierungen und für schnelle Klangfarbenwechsel zu Nutze macht.
Die leicht ungleichschwebende Temperierung des Instruments sorgt für eine besonders schöne Tonartencharakteristik, ohne entlegenere Tonarten auszuschließen.Es bleibt zu konstatieren, dass das neue Instrument natürlich nicht nur für die Musik (ober-)schwäbischer Meister (Justin Heinrich Knecht, Sixtus Bachmann, Isfrid Kayser, Joseph Lederer, Franz Xaver Schnitzer, Ulrich Steigleder u.a.) bestens geeignet ist, obgleich sie natürlich in diesem Raum besonders passend und schön klingt! Die Orgel ist in ihrer erhabenen klanglichen Größe hervorragend für die Werke Johann Sebastian Bachs und anderer barocker Meister prädestiniert. Die unterschiedlich ausregistrierbaren Prinzipalchöre samt Schwebung („Unda Maris“ = „Meereswelle“) weisen in Richtung der italienischen Orgelmusik der Renaissance und Barockzeit (z.B. Girolamo Frescobaldi), die abwechslungsreichen Streicher und Flöten in Richtung Früh- und Hochromantik (z. B. Felix Mendelssohn oder Joseph Rheinberger), das groß angelegte Schwellwerk und die reichen dynamischen Möglichkeiten hin zur symphonischen Orgelmusik eines César Franck, Charles Marie Widor oder auch Max Reger. Selbst die Musik des 20. bzw. 21. Jahrhunderts ist durch das reiche Vorhandensein von Obertonregistern und die Möglichkeit spezieller Winddrosseleffekte, z. B. halb gezogener Manubrien bei mechanischem Registrieren oder dem Ausschalten des Motors bei weiterhin funktionierender mechanischer Spieltraktur, realisierbar.
Es ist ein Instrument entstanden, das in seiner vielseitigen Musikalität mit hörbar süddeutschem Akzent, weltoffen und gastfreundlich Spieler wie Zuhörer zu begeistern vermag.
Raum
Jeder Raum ist mehrdimensional – nicht nur rein geometrisch betrachtet, sondern auch hinsichtlich der Architektur, der Ausgestaltung, der Akustik, des Lichteinfalls oder des Geruchs.
Ein Kirchenraum soll in dieser Hinsicht mehrere Ebenen menschlicher Sinneswahrnehmung ansprechen und den Gläubigen als Ort der Gegenwart Gottes ein Stück vom Himmel sein. Die Orgel ist Teil dieses Raumes und des dahinterstehenden theologischen Konzepts. Der Begriff Orgel, vom lateinischen Begriff „organum“ = „Werkzeug“, passt in diesem Kontext auf vielfältige Weise: Das – wie eingangs bereits erwähnte – „liturgische Werkzeug Orgel“ ist von der Funktion her tatsächlich wie das Organ eines Organismus, es hält den Körper bzw. in diesem Fall den Raum am Leben, füllt ihn mit Musik, bringt ihn und alles, was sich darin befindet und Resonanzen bilden kann, zum Schwingen und Klingen. Das Instrument durchdringt mit seinem Klang Raum und Mensch. Die Basilika in Wiblingen spricht mit ihrer prächtigen Innengestaltung durch das Auge die Seele der Menschen an.
Die neue Orgel schafft dies ebenfalls durch das Auge, aber eben auch durch das Ohr und durch ihren, den menschlichen Körper umschwingenden und raumergreifenden Klang.
Postludium
238 Jahre hat es gedauert, bis das Projekt Hauptorgel in der Wiblinger Basilika verwirklicht worden ist. Möge die Orgel für viele Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte zum Lob Gottes und zur Erbauung, Begeisterung und Anrührung der Gläubigen erklingen und auch dem Nichtgläubigen durch die Macht der Musik ein Tor zum Himmel öffnen.
Ruben J. Sturm, Rottenburg
„Das Werk zu Ende denken“
Orgelbaumeister Claudius Winterhalter im Gespräch mit Markus Zimmermann zum Orgelneubau in der Basilika Wiblingen
(21. April 2021)
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