Bitburg - Liebfrauenkirche, Instrumente

Liebfrauenkirche Bitburg

Disposition

HAUPTWERK (MANUAL I)
1. BOURDON 16‘
2. PRINCIPAL 8‘
3. SALICIONAL 8‘
4. TRAVERSFLÖTE 8‘
5. OCTAVE 4‘
6. SPITZFLÖTE 4‘
7. SUPEROCTAVE 2‘
8. MIXTUR IV/V 1 1/3‘
9. TROMPETE 8‘
SCHWELLWERK (MANUAL II)
1. DIAPASON 8‘
2. COR DE NUIT 8‘
3. VIOL DE GAMBE 8‘
4. VOIX CELESTE 8‘
5. PRESTANT 4‘
6. FLUTE OCTAVIANTE 4‘
7. NAZARD 2 2/3‘
8. OCTAVIN 2‘
9. TIERCE 1 3/5‘
10. DOUBLETTE 2‘
11. PLEIN JEU IV/V 2‘
12. TROMPETTE HARM. 8‘
13. HAUTBOIS 8‘
PEDALWERK
1. CONTRABASS 16‘
2. VIOLONCELLO EXT. 1. 8‘
3. SUBBASS 16‘
4. GEDECKTBASS EXT. 3. 8‘
5. OCTAVBASS 8‘
6. BASSOCTAVE EXT. 5. 4‘
7. POSAUNE 16‘
8. TROMPETE EXT. 7. 8‘
KOPPELN
II-I II-I SUB I-P II-P II-P SUPER
TREMULANT
SETZER
32 X 8 X 8 USB
TONUMFANG
C – A³ / C – F¹
BALANCIERTRITT
HANDSCHWELLZUG
STIMMUNG
MOD. GLEICHSTUFIG A° 440 HZ/16° C
SACHBERATUNG
THOMAS NETTER
JOSEF STILL

Durch Einschränkung kreativ

Znweit der Luxemburger Grenze, etwa dreißig Kilometer nördlich von Trier, liegt das Eifelstädtchen Bitburg. Gegründet als „vicus beda“ im ersten Jahrhundert nach Christus, wurde die Siedlung unter Kaiser Konstantin zum römischen Straßenkastell ausgebaut, auf dessen archäologischen Resten unter anderem das Pfarrhaus der Liebfrauenkirche steht. Als „castrum bedense“ wurde Bitburg 715 erstmals urkundlich erwähnt; 1262 erhielt die ehemalige Römergarnison das Stadtrecht. Die stets wechselhafte Machtpolitik von Grafen, Fürsten und Königen bescherte den Bitburgern seit Mitte des 10. Jahrhunderts herrschaftliche Einflußnahmen aus halb Europa. Zunächst hatten die Grafen von Luxemburg das Sagen, gefolgt von den Burgundern. Danach gehörte der Ort zu den spanischen, später zu den österreichischen Niederlanden. Von den Franzosen unter Ludwig XIV. mehrfach heimgesucht, wurde Bitburg durch Beschluß des Wiener Kongresses 1815 Preußen zugeschlagen. Nach massiven Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkriegs folgte der Wiederaufbau und die Zeit als NATO-Stützpunkt bis 1995. Zehn Jahre zuvor geriet die Stadt durch den Besuch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan in den Blickpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Heute genießt Bitburg dank einer äußerst erfolgreichen Verbindung von Braukunst und Marketing („Bitte ein Bit“) zumindest unter Bierkennern weltweite Bekanntheit.
Die Liebfrauenkirche überragt, auf der höchsten Erhebung Bitburgs gelegen, mit ihrer spitzen Turmhaube die Stadtsilhouette. Sie wurde um 1000 erstmals erwähnt und 1330 der Gottesmutter geweiht. Die ehemals einschiffige, spätmittelalterliche Saalkirche wurde in ihrer Geschichte mehrfach umgebaut und erweitert. Der gotische Bau wurde 1860 verlängert und verbreitert. 1922/23 erhielt die Liebfrauenkirche einen Anbau an der Südseite und damit ihre jetzige Form. Dieser Anbau, der von außen wie eine barocke Erweiterung mit abschließender Kapelle wirkt, präsentiert sich im Innern stilistisch uneinheitlich. Durch drei expressionistische, auf schlanken Säulen ruhenden Bögen ist er mit dem alten gotischen Langhaus verbunden, während seine Seitenschiffe vom Hauptraum durch kurze und massive Säulen ohne Basen abgetrennt werden. Was von außen die an den Baukörper angesetzte Kapelle zu sein scheint, entpuppt sich im Innern als chorähnlicher Raum für Empore und Orgel. Der Zelebrationsaltar befindet sich heute in der Mitte des gotischen Langhauses, der Orgel gegenüber. Der gotische Ostchor wurde in jüngerer Zeit zur Taufkapelle umgebaut. In den frühen 1960er Jahren erhielt der Anbau von 1922/23 eine dunkle, mehrfach gefaltete Holzdecke mit damals moderner Lattenstruktur.
In diesem heterogenen Raum macht die neue Orgel eine markante, eigenständige ästhetische Aussage. Die kontemporäre Außengestaltung steht im Kontext anderer Winterhalter-Orgeln (u.a. Offenburg, Herbolzheim, Birndorf), die in Zusammenarbeit mit dem international bekannten Bildhauer und Maler Armin Göhringer entstanden sind.

Durch ihre künstlerisch-plastische Architektur und die vollkommene Homogenität von Erscheinungsbild und Klang, gehören diese Instrumente zu den in der Fachwelt viel beachteten Arbeiten aus der Werkstatt von Claudius Winterhalter.

Die Bitburger Orgel besitzt einen hierarchisch gestaffelten, zweiteiligen Prospekt. Vorne befindet sich das Hauptwerksgehäuse, dessen fünfteilige Gliederung mit bildhauerisch besägter Mittelstele eine äußerst gelungene, zeitgenössische Interpretation klassischer Orgelgesichter darstellt. Durch eine gebogene, nach oben sich öffnende Linienführung mit schräg gestellten Pfeifen wird die Form dynamisiert. Sie ist regelrecht in Bewegung und gibt diese Bewegung an den Kirchenraum weiter. Hinter dem Hauptwerksgehäuse mit Spielanlage erhebt sich das Gehäuse für Pedal- und Schwellwerk. Die Pedalpfeifen stehen unsichtbar hinter den skulpturalen Außentürmen, deren schalloffene Besägungen mit der Mittelstele korrespondieren. Das „auf Sturz“ positionierte Schwellwerk mit chromatischer Pfeifenaufstellung befindet sich im zentralen Rückraum zwischen dem in C- und Cis-Seite geteilten Pedalwerk. Diese Anordnung ermöglicht eine besonders ausgewogene Klangabstrahlung aller Tonlagen.
Die hierarchische Gliederung von Werkanlage und Prospekt reduziert das Orgelbild auf Wesentliches. Der Eindruck drangvoller Enge im kleinen Emporenraum kann so auf raffinierte Weise vermieden werden. Zur Steigerung von Eleganz und Leichtigkeit schließen die Prospektfelder mit Bogensegmenten nach oben ab und treten damit in motivische Korrespondenz mit Formen der Kirchenarchitektur. Für die Farbgestaltung des Orgelgehäuses bot der in gedeckten Tönen gehaltene Kirchenraum keine tragfähigen Anhaltspunkte. Die gewählte, frisch und licht wirkende blauviolette Fassung auf weißem Grund steht im Farbkanon der Marienverehrung. Durch die geometrisch gerasterte Pinseltextur mit glänzenden Silberapplikationen über den sichtbaren Pfeifen entsteht eine angemessene Eigenständigkeit, die dem Raum zugute kommt.
Eine Orgel ist vor allem ein Musikinstrument, das bestmöglich klingen soll. Die Vorstellung davon, was ein idealer Orgelklang ist, hat sich freilich durch die Jahrhunderte immer wieder geändert. Heute orientieren sich viele Orgelbauer eng an historischen Instrumenten und versuchen, deren Klang zu kopieren. In der Tat wissen wir soviel wie nie zuvor über den Orgelbau vergangener Epochen – und doch führt die Kopie nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen. Die subtile Reifung alter Instrumente läßt sich ebensowenig simulieren, wie sich das geistige Klima, die Weltanschauungen, Vorlieben und Moden vergangener Zeiten wiederbeleben lassen. Es muß also darum gehen, im klaren Bewußtsein traditioneller Klangideale eine neue Lösung zu finden und kreativ mit dem Erbe umzugehen. In der neuen Orgel der Liebfrauenkirche ist dieser Ansatz mustergültig verwirklicht.
Die Disposition orientiert sich im Hauptwerk an süddeutsch-barocken Vorbildern, ergänzt durch ein „Récit-expressif“ aus der französischen Orgelromantik und grundiert von einer Auswahl wandlungsfähiger Pedalregister. Dieser spannende, gerade bei mittelgroßen Werken gern und oft versuchte epochenübergreifende Bogenschlag ist hier in inspirierter, überzeugender Weise gelungen. Den Orgeln der renommierten Schwarzwälder Werkstatt gelingt es, Klangtraditionen unterschiedlicher Provenienz zu einem neuen, homogenen Ganzen zu verschmelzen. Das vielseitig ausgestattete Schwellwerk ermöglicht das Spiel romantischer Literatur und ergänzt bereichernd die Registerpalette des Hauptwerks. Im Pedal findet sich eine gravitätische, strukturfähige und “mitwachsende“ Klangbasis.

Für Claudius Winterhalter ist die Liturgiefähigkeit des Kircheninstruments Orgel nicht minder wichtig als dessen Konzertfähigkeit.

Der reiche Bestand an fein nuancierten Grundstimmen macht die Bitburger Orgel zur Begleitung der Liturgie in besonderem Maße geeignet und stellt zugleich eine wundervolle Palette von Farben für ein breites Repertoire zur Verfügung. Innerhalb der Pfeifenfamilien (Flöten, Streicher, Zungen, Prinzipale) sind die einzelnen Register mit ungewöhnlicher Sorgfalt farblich aufeinander abgestimmt: Dem weichen Salicional des Hauptwerks steht die obertonreiche Viol de Gambe gegenüber, der eher dunklen, sehr verschmelzungsfähigen Hauptwerkstrompete mitteldeutscher Bauart die brillante Trompette harmonique, die dem Récit Kraft und Klarheit verleiht.
Auf Sonderwunsch erhielt das Hauptwerk eine Traversflöte 8‘. Als einziges Weitchorregister ist diese Solistin auch als mischfähige Grund- und Begleitstimme einsetzbar. Mit ihr korrespondiert im Schwellwerk einerseits das zarte Cor de Nuit, andererseits die durchsetzungsfähige Flute octaviante. Ein faszinierendes Charakteristikum nicht nur dieser Orgel aus der Schwarzwälder Werkstatt ist die hervorragende Mischfähigkeit aller Einzelstimmen untereinander, die zum Erproben selbst ungewöhnlichster Farbkombinationen einlädt. Diese Vielseitigkeit ermuntert Organisten zu ausgefallenen Literaturexperimenten.
Jeder, der sich mit Akustik beschäftigt, erkennt sofort, daß sich der Bitburger Kirchenraum musikalisch nur bedingt für Klangwunder eignet. Zwei in einem 90°-Winkel zueinander stehende, unterschiedlich hohe Räume mit einer Vielzahl von Nischen, Ecken und Säulen führen zu überdurchschnittlich starken Diffusionseffekten. Die quer gerasterte Holzdecke schluckt Schallenergie und wirkt als Reflexionsbremse. Mit durchschnittlich zwei bis drei Sekunden wird die Nachhallzeit im leeren Raum als angenehm empfunden, doch schon bei halb besetzter Kirche geht dieser Effekt deutlich zurück. Die Raumakustik arbeitet nicht mit und wird „kurz“ und „trocken“, eine natürliche Klangveredelung, wie sie für größere Räume typisch ist, findet kaum statt. Hinzu kommt, daß der Orgelstandort im „Rundchor“ aufgrund der geringen Abstände vom Instrument zur Raumschale wie ein Verstärker wirkt und dadurch auf der Empore die Toncharakteristik und den spezifischen Teiltonaufbau bestimmter Register teilweise überdeutlich hervorhebt.
Doch was aus der Nähe oftmals wie ein Nebengeräusch wahrgenommen wird, ist wichtiger Klangbestandteil einer Orgel und für ihre Strukturbildung, Farbenvielfalt und Tragfähigkeit unverzichtbar. Kirchenräume wie Bitburg sind schwierig zu beschallen weil sie in ihrer spröden Ehrlichkeit gleichzeitig kraftvolle Stärke und milde Intensität brauchen und bei allem ein Höchstmaß an Ausgeglichenheit verlangen. Die klangbildnerische Arbeit des Intonateurs bewegte sich in einem schmalen Grenzbereich und erforderte höchstes Können.

Orgelbauer und Organisten träumen stets von idealen Bedingungen: dem perfekten Raum und großzügigen finanziellen Mitteln. Beides ist so gut wie nie vorhanden.

Aber gerade die Einschränkung fordert das Nachdenken heraus und beflügelt die Kreativität. Sie erzwingt das Besondere im Rahmen des Möglichen, während Überfluß nicht selten zu phantasielosen Lösungen führt. Auch in Bitburg gab es solche Einschränkungen: Hier fehlte für ein vollständig ausgebautes Pedalwerk auf der schmalen Empore einfach der notwendige Platz. Deshalb sind vier der acht Pedalregister als Extensionen zum jeweiligen Grundregister ausgeführt. Klanglich brachte diese Lösung keine Nachteile mit sich, hatte aber einen angenehmen Nebeneffekt: Die so eingesparten Mittel konnten zur Realisierung der wichtigen Setzeranlage und einer zweiten Schwellwerkszunge verwendet werden. Außerdem wurde die Orgelanlage kompakter, was der äußeren Erscheinung des Instruments sehr zugute kam. Schließlich wurde die Doublette des Schwellwerks als Vorabzug zum Plein Jeu gebaut. So gewann man auf dem Obermanual einen principalischen 2‘ hinzu und sparte zugleich Geld. Mit „nur“ 26 Registern, vier Extensionen und einem Vorauszug verfügt die neue Orgel der Bitburger Liebfrauenkirche über eine bemerkenswert reiche Auswahl an hochwertigen Stimmen verschiedenster Couleur, die Ungeahntes möglich machen.

Michael Gassmann