Instrumente, Regensburg - St. Andreas

Pfarr- und Studienkirche St. Andreas Regensburg

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Disposition

HAUPTWERK
1. BOURDON 16‘
2. PRINCIPAL 8‘
3. VIOLA 8‘
4. HOHLFLÖTE 8‘
5. OCTAVE 4‘
6. SPITZFLÖTE 4‘
7. NAZARD 2 2/3‘
8. SUPEROCTAVE 2‘
9. TERZ 1 3/5‘
10. MIXTUR IV-V 1 1/3‘
11. TROMPETE 8‘
OBERWERK
12. GEDECKT 8‘
13. SALICIONAL 8‘
14. BIFARA 8‘
15. FUGARA 4‘
16. ROHRFLÖTE 4‘
17. SESQUIALTERA II 2 2/3‘
18. FLAGEOLET 2‘
19. ZYMBEL III 1‘
20. DULCIAN 8‘
PEDALWERK
21. SUBBASS 16‘
22. GEDECKTBASS EXT. 21 8’
23. OCTAVBASS 8’
24. BASSOCTAVE EXT. 23 4‘
25. FLÖTBASS 8’
26. BASSFLÖTE EXT. 25 4’
27. FAGOTT 16‘
28. POSAUNE EXT. 27 8‘
KOPPELN
II-I I-P II-P
ÜBER TRITTE UND ZÜGE
TREMULANT
TONUMFANG
C – G³ / C – F¹
STIMMUNG
BILLETER A° 440 HZ/16° C
SETZER
MIT 4096 KOMBINATIONEN
SACHBERATUNG
GERHARD SIEGL

Neue Töne aus alter Fassade

Wer in Regensburg die Steinerne Brücke nach Norden Richtung Stadtamhof überschreitet, sieht rechts aus den engen Gassen einen bescheidenen Barockturm aufragen. Er gehört zum ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift St. Mang. Nach der Zerstörung 1633 wurde erst 1717 die Kirche wieder geweiht; Hauptpatron ist nun der Heilige Andreas. Architekt Andreas Pichlmeier errichtete seinen Barockbau in den Dimensionen der romanischen Vorgängerkirche im engräumigen mittelalterlichen Umfeld. Obwohl die Kirche nur durch Fenster im oberen Drittel belichtet wird, erstaunen in ihrem Innern Helligkeit, Leichtigkeit und Eleganz. Der von dezenten Wandpfeilern gerahmte hohe Saal mit kleiner Apsiskuppel entfaltet bei bescheidenen Ausmaßen eine verblüffende Tiefenwirkung. Zur qualitätvollen Rokokoausstattung zählen reichhaltige Fresken und Stuckarbeiten. Eine ikonografische Besonderheit ist das Chorgestühl des Regensburger Bildhauers Simon Sorg, das in 24 Szenen Visionen des Heiligen Augustinus darstellt. Das Pendant zum Hochaltar bildet in vielen Kirchen Süddeutschlands der reich dekorierte Orgelprospekt auf der rückwärtigen Empore. Während sonst wenigstens die Hälfte der Raumhöhe für dessen Gestaltung zur Verfügung steht, musste sich der Künstler hier auf die obere Empore beschränken. In Verbindung mit der doppelten Bogenreihe als vertikale Architekturglieder entsteht durch die quer gelagerte Prospektanlage erhebliche Spannung. Vom seitlichen Lichteinfall der hohen Fensterzone gestreift, erscheinen die auskragenden Gesimse und Voluten unter der Decke noch mächtiger als sie ohnehin schon sind. Die an der Westseite von außen gut erkennbaren Fensteröffnungen hinter der Orgel waren frei, bis Ende des 19. Jahrhunderts ein größeres Instrument eingebaut wurde. Die mit der Raumschale fest verbundene Orgelfassade bekam zuvor – je nach Tages- und Jahreszeit wechselnd – von drei Seiten Tageslicht. Um Blendungen zu vermeiden, waren die einzelnen Elemente des Corpus vor die Fensterleibungen gerückt. Aus dem Kirchenraum betrachtet entstand so, begünstigt durch den steilen Blickwinkel, ein geradezu magisches, von diffusem Licht umspültes kirchenmusikalisches Theater aus Engeln, bekrönt von einem lebensgroßen König David mit der Harfe.

Es ist nicht alles Orgel, was glänzt
Der Illusionen mit den kirchlichen Lichtspielen aber nicht genug: Optische Täuschungen und Scheinperspektiven gehören zu den Reizen süddeutscher Kirchenarchitektur in Barock und Rokoko. So wurden Orgelprospekte oft überdimensioniert – gewiss auch aus Freude am spielerischen Gestalten, ähnlich der galanten Musik. Hier galt es, auf der Südseite eine Wendeltreppe zu kaschieren. Sie wurde mit einem, dem Orgelgehäuse nachempfundenen Kasten umbaut und mit Stuckmarmor wie der Mittelteil in die Decke hineingearbeitet. Diese äußeren Ecktürme enthalten lediglich aus Holz gefertigte Pfeifen-Attrappen in allerdings beeindruckender perspektivischer Qualität. Im Bereich der zur Mitte hin anschließenden Propektbrückenfelder fanden die tiefen Lagen des Bourdon 16’ einen angemessenen Platz. Hinter dem zweigeschossigen Mittelteil befand sich ursprünglich eine wohl einmanualige Orgel mit ca. 15 Registern. Sowohl der Schöpfer der originellen Fassade als auch der Erbauer der Orgel selbst sind bislang unbekannt. Wahrscheinlich stammt das Ensemble aus mehreren Epochen.

Große Besetzung auf kleinstem Raum
Eine Rekonstruktion schied aus, da hier weder die Disposition noch originales Pfeifenwerk aus dem 18. Jahrhundert vorhanden waren. Und wer wollte sich heute an dieser Stätte mit einem einmanualigen Örgelchen und 18tönigem Pedal begnügen? Eine moderne Universal-Lösung hätte einen Bruch mit der sonst authentischen Innenausstattung des großzügigen und doch intimen Kirchenraums bedeutet. Also galt es, dem vermeintlich unscheinbaren System Süddeutsche Barockorgel so nachzuspüren, dass ein Instrument entsteht, das die (monastische) Musiktradition des 18. Jahrhunderts aufnimmt und in unsere Zeit hinüberträgt. Aus bautechnischen Gründen war es sinnvoller, für den Orgelneubau die alte Fassade an Ort und Stelle zu restaurieren und zu ergänzen. Dahinter entstand ein technisch und klanglich völlig neues Werk, auf dessen Tragekonstruktion im Mittelbereich Hauptwerk und Oberwerk ruhen. Eine Mauernische zwischen den ehemaligen Fensterleibungen der Westwand wurde für die Pedalpfeifen mit massivem Holz ausgekleidet. Dank mehrerer hundert Messpunkte an Gehäuse und Gebäude konnte das gesamte Orgelwerk ohne nennenswerte Korrekturen passgenau eingebaut werden. Der besseren Schallreflexion dienen von außen unsichtbare, schräg angestellte Dächer. Sie mischen den Klang in großer Höhe, um ihn bereits unmittelbar vor der Brüstung in den Kirchenraum hinabzulenken. Das technische Innenleben des neuen Werks erweist sich als sauber durchkonstruiertes Trakturgefüge mit Sinn für Funktionalität und Präzision. Die Disposition musste sich aus Platzgründen auf das Wesentliche konzentrieren, und die Registernamen wirken, wie bei der süddeutschen Orgel üblich, zunächst unspektakulär: Zwei Manuale, eines mit größerem, eines mit kleinerem Principalchor, dazu ein sparsam besetztes Pedal. Galantes musikalisches Pastell

Was dem Freskenmaler die Pastelltöne, das sind dem Orgelbauer Süddeutschlands die fein abgestuften Flöten- und Streicherstimmen, die jedes der drei Teilwerke bereichern. Hinzu kommen – gleichsam als Gäste – die hier in dieser Zahl nicht üblichen Zungenstimmen, wenngleich sie als Registertypus hie und da im historischen Orgelbau der Gegend erscheinen: Im Pedal steht eine 16’- und 8’-Lage zur Verfügung, während gewöhnlich nur eine von beiden anzutreffen ist. Für das Hauptwerk wurde eine mischfähige Trompete gewählt. Dulcian 8’ im zweiten Manual zeigt sich als geschmeidige Synthese aus Krummhorn, Schalmei und Klarinette und lässt sich in Kombination mit anderen Registern weiter modifizieren.
Die Viola im Hauptwerk ist, im Gegensatz zur im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Gamba, weniger schneidend intoniert. Im Klaviaturverlauf trichterförmig beginnend wechselt die Bauform der Pfeifen über eine zylindrische Mittellage zu einem konischen Diskant. Dadurch ist diese Stimme im Bass bei gutem Strich etwas milder als gewöhnlich und entfaltet im Diskant frischen Glanz. Zu den unerwarteten Effekten gehört, dass Viola gemeinsam mit Spitzflöte und Quinte einer gut ausbalancierten Quintade gleicht. Nicht zuletzt um solche delikaten Mischungen zu ermöglichen, wurden die beiden Einzelaliquote des Hauptwerks zwischen Flöte und Principal mensuriert, während die Sesquialtera im Oberwerk ein rein principalisches Register ist und den für süddeutsche Plena typischen i-Formanten bietet. Im Oberwerk ergeben Gedeckt und Salicional zusammen einen leisen Principal, der sich mit der langsam schwebenden Bifaria zu einer ergreifenden italienischen Voce umana verbindet.
Platznot macht erfinderisch. Aus den vier Pedalstimmen werden durch Extensionen acht Züge gewonnen. Da jedes Register nur einmal verlängert wird, kommt es nicht zu störenden Überschneidungen. Es entstand eine reich besetzte 8’-Lage, wobei Flötbass hier eine elegant zeichnende, konische Streicherstimme meint, passend zu Viola, Spitzflöte und Salicional. Mit der Extension daraus steht der Tenorlage im Pedal eine feine 4’-Stimme zur Verfügung, die der milden 4’-Bassoctave beim Cantus-firmus-Spiel noch mehr Struktur verleiht.

Einladender Klang
Die Akustik der Andreaskirche verstärkt alles. Das birgt die Gefahr, dass Frequenzen im Grundtonbereich überproportional aufgebaut und damit „dick“ werden. Deshalb wurden Mensuren und Intonation so angelegt, dass sie bei maximaler Transparenz und hoher Energiedichte möglichst wenig Schalldruck erzeugen. Das Ergebnis ist ein im Raum angenehm diffundierender Klang, der in jeder Registerkombination zu längerem Spiel und Hören einlädt und sowohl polyphone als auch homophone Strukturen klar und deutlich abbildet. Damit eignet sich das Instrument für weitaus mehr als süddeutsche Barockmusik: Das in dieser Orgellandschaft wenig verbreitete Triospiel ist ebenso möglich wie die Realisierung von frühbarocker Musik oder von Werken der Spätromantik. Dieselben Register, mit denen eben noch eine Fantasie von Johann Ludwig Krebs überzeugend vorgetragen wurde, zaubern die Klangwelt einer Cavaillé-Coll-Orgel, wenn sie für Louis Viernes Berçeuse gewählt werden; mancher Profi sucht mit dem Fuß schon mal den Schwelltritt, während der geübte Hörer mühelos die dynamischen Schattierungen interpoliert. Der Intention süddeutscher Barockorgeln als Ensemble-Instrument und Alternatim-Partner kommt eine milde aber frische Intonation dieser Art sehr entgegen, unterstützt durch eine cantable Windführung mit Magazin- und freien Schwimmerbälgen. Merkwürdigerweise klingt das Oberwerk im Raum nicht lauter, aber präsenter als das Hauptwerk. Es ähnelt einem Rückpositiv, ohne freilich der Gemeinde „auf den Geist“ zu gehen. Kurzum: Diese Orgel zu hören, wird man so schnell nicht müde.
Das ist auch deshalb wichtig, weil dieses Instrument, neben seinen vielfältigen liturgischen Aufgaben, vor allem zu Übungs- und Vortragszwecken der angrenzenden Hochschule für Kirchenmusik dienen wird. Diese zusätzliche Nutzung ist der Grund, warum eine Doppelregistratur mit Setzeranlage eingebaut wurde. Ausbildungs- und Aufführungsort sind auf buchstäblich kürzestem Wege miteinander verbunden: Hinter dem nördlichen Außenturm verbirgt sich nämlich nicht nur das Orgelgebläse, sondern auch der Zugang zu den Räumen der Hochschule im ehemaligen Konventsgebäude.
So bleibt zu wünschen, dass die neue Orgel in der ehemaligen Augustiner-Chorherrenkirche die rege Musiktradition dieses Ordens lange und würdig fortzusetzen vermag. Nach einer Reihe markanter „Orgelskulpturen“ zeigten die Mitarbeiter der Werkstätte Claudius Winterhalter hier große Sensibilität, wo es galt, ein in die Zukunft weisendes Orgelwerk phantasievoll in einen historischen Kontext hineinzukomponieren.

Markus Zimmermann