Disposition
MANUAL I 1. PRINCIPAL 8‘ 2. GEDECKT 8‘ 3. OCTAVE 4‘ 4. ROHRFLÖTE 4‘ 5.* SUPEROCTAVE 2‘ 6. MIXTUR IV 2‘ 7. TROMPETE 8‘ |
MANUAL II (SCHWELLWERK) 1. ROHRGEDECKT 8‘ 2. SALICIONAL 8‘ 3. FUGARA 4‘ 4. HOLZFLÖTE 4‘ 5. QUINTE 2 2/3‘ 6. TERZ 1 3/5‘ 7. FLAGEOLET 2’ 8. LARIGOT 1 1/3‘ 9. OBOE 8‘ |
PEDAL 1. SUBBASS 16‘ 2.** OCTAVBASS 8‘ 3.** GEDECKTBASS 8‘ 4.** BASSOCTAVE 4‘ 5. FAGOTT 16‘ 6.** TROMPETE 8‘ * VORAUSZUG MIXTUR ** TRANSMISSION MANUAL I |
KOPPELN II-I II-II SUB (DURCHKOPPELND) I-P II-P |
TREMULANT |
TONUMFANG C – A³ / C – F¹ |
STIMMUNG BILLETER A° 440 HZ/16° C |
SACHBERATUNG ADOLF FICHTER |
Farbig konstruktiv
In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sich die Bundesregierung am provisorischen Regierungssitz Bonn mehr und mehr einzurichten begann, dachte man seitens des Kölner Erzbistums und der Bonner Katholiken über eine verstärkte kirchliche Präsenz im Bonner Regierungsviertel nach. Nach mehrjährigen Planungen konnte dort, nur wenige Schritte vom Bundestag entfernt, im Dezember 1968 eine Pfarrkirche geweiht werden, die von Anfang an in der Obhut des weltweit tätigen Salesianer-Ordens lag. Zu ihrem Namenspatron wählte man in programmatischer Absicht Winfried Bonifatius, den Apostel der Deutschen. Jahrzehntelang wurden in ihr die Gottesdienste des Deutschen Bundestages abgehalten. Während diese Funktion dem Gotteshaus seine Bedeutung sicherte, schrumpfte die Gemeinde Sankt Winfried durch die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen im Regierungsviertel von ursprünglich ungefähr 1000 auf zur Zeit etwa 340 Mitglieder. Sankt Winfried ist damit eine der kleinsten Gemeinden des Erzbistums Köln. Heute bildet sie zusammen mit den Gemeinden Sankt Quirinus, Sankt Nikolaus und Sankt Elisabeth den Pfarrverband Bonn-Süd. Das ehemalige Regierungsviertel befindet sich unterdessen in einer Phase des Umbruchs und Aufschwungs: In den sogenannten Schürmannbau, einst für die Büros der Abgeordneten bestimmt, ist die Deutsche Welle eingezogen. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche hat die Deutsche Post AG ihre Konzernzentrale, den gläsernen Post-Tower des Architekten Helmut Jahn, errichtet. Das Hauptquartier der Deutschen Telekom liegt ebenfalls auf dem Gebiet der Pfarrgemeinde. Das ehemalige Abgeordnetenhaus „Langer Eugen“ ist zum Sitz mehrerer UN-Einrichtungen geworden, der Plenarsaal des Deutschen Bundestages bildet nun das „Internationale Kongresszentrum Bundeshaus Bonn“; ein großes Kongressgebäude, das den Plenarsaal ergänzen soll, befindet sich zur Zeit im Bau. So wachsen auch der Pfarrgemeinde Sankt Winfried neue Aufgaben zu. Mit den vielen international tätigen Organisationen und Unternehmen, die in Bonn ihren Sitz genommen haben, sowie dem in Bonn verbliebenen Entwicklungshilfe-Ministerium arbeitet die in Sankt Winfried beheimatete Missionsprokur der Salesianer Don Boscos eng zusammen. Außer der eigenen Gemeinde bietet die Kirche auch dem Foyer der Jesuiten sowie der spanisch sprechenden und der philippinischen Gemeinde eine Heimat. Heute ist die Kirche Sankt Winfried das, was sie schon zu Hauptstadtzeiten war: ein lebendiger Ort der Begegnung für Menschen aller Nationen und Berufe.
Sankt Winfried wurde gemeinsam mit den angrenzenden Klostergebäuden vom Bonner Architekten Kurt Kleefisch errichtet. Das Bauwerk liegt am Hang einer natürlichen Rheinterrasse und grenzt östlich an den anlässlich der Bundesgartenschau 1979 gestalteten Rheinauenpark. Ein alter Mühlenstumpf, eine große Kastanie und ein barockes Wegekreuz befanden sich auf dem Bauplatz und wurden vom Architekten in die Planungen integriert: Kirche und Klostergebäude gruppierte Kleefisch um den – inzwischen ersetzten – Baum und den zum Sitzplatz umgebauten Mühlenstumpf herum. So schuf er einen kommunikationsfreund-lichen Kirchplatz, auf dem auch das alte Kreuz aufgestellt werden konnte.
Von außen präsentiert sich die Kirche nüchtern im Stil der Zeit: Der in rotem Klinker und Sichtbeton ausgeführte Bau läßt die liturgischen Funktionen des Innern klar erkennen. Ein markantes Pultdach markiert den Altarbereich, zwei gläserne Pyramiden bezeichnen den Ort von Tabernakel und Marienkapelle. Der aus Betonelementen gleichsam zusammengesteckte Turm setzt an der Straßenseite ein architektonisches Ausrufezeichen.
Wer die Kirche betritt, passiert zunächst den Vorraum und den halbdunklen Bereich vor der linker Hand gelegenen Marienkapelle, bevor er, sich nach rechts wendend, den hellen und hohen Kirchenraum erreicht. Die Architektur erscheint hier, wie schon am Kirchturm ablesbar, als „konstruktivistisch“: Der Raum ist aus weiß verputzen Wandscheiben, glatten grauen Betonbalken und rauen Sichtbetonelementen gewissermaßen zusammengesetzt. Im Nordosten der Kirche befindet sich die um einen halben Meter erhöhte Chor- und Orgel-bühne, im Südosten der Altarbereich mit Altar, Ambo, Kredenz, Taufbecken und Sedilien, der vollständig in graugrünem Dolomit ausgeführt ist. Der Boden der Kirche hingegen ist mit braun-rotem Stahlklinker belegt, die von Kurt Kleefisch entworfenen Kirchenbänke sind aus gekälkter Eiche gefertigt. Tabernakel, Osterkerzenleuchter, Ewiglicht, das im Vorraum aufgestellte Vortragekreuz, sowie die Apostelkerzenleuchter wurden von den Aachener Goldschmieden Fritz Schwerdt und Hubertus Förster in Aluminiumguß mit Vergoldungen ausgeführt. Besondere Aufmerksamkeit widmete Kleefisch der Frage des Lichteinfalls:
Die „heiligen Orte“ Zelebrationsaltar, Tabernakel und Marienaltar erhalten ihr Licht von oben, der Kirchenraum selbst wird durch ein waagerechtes Fensterband erhellt, das zwischen den Tragebalken der Decke verläuft.
Senkrechte Fensterbänder vom Boden bis zur Decke ergeben sich aus den Freiräumen zwischen den konstruktiven Betonelementen. Insgesamt erweist sich Sankt Winfried als ein qualitätvoller Bau mit dezenter, überlegter Farbgebung und geschickter Lichtregie, der die Erfordernisse der nachkonziliaren Liturgie mustergültig erfüllt.
Seit ihrer Einweihung mußte sich die Gemeinde Sankt Winfried mit einem vom Erzbistum Köln gemieteten Orgelpositiv begnügen, das liturgische wie künstlerische Bedürfnisse in keiner Weise zu erfüllen imstande war. Der überfällige Orgelneubau traf auf durchaus günstige Voraussetzungen: Die vom Architekten für die Orgel vorgesehene Nische – von außen betrachtet ein von Klinkerwänden umgebener Sichtbeton-Erker – bietet zwar nur begrenzt Platz, gewährleistet aber eine gute Klangabstrahlung in den Kirchenraum hinein. Sankt Winfried verfügt zudem über eine warm resonierende, leicht hallige Akustik, die auch bei voll besetzter Kirche ihren Charme behält.
Unter den eingereichten Entwürfen überzeugte Claudius Winterhalters Konzept auf Anhieb, weil es durch die konstruktivistische Gliederung des Orgelgehäuses das Instrument raffiniert in die umgebende Architektur einpasst und dadurch eine optimale Ausnutzung des zur Verfügung stehenden knappen Raumes gewährleistet. In seinem Angebot würdigte Claudius Winterhalter den Kirchbau als „ein Ensemble von abwechslungsreicher Raumtopografie mit klaren Strukturen und innerer Geschlossenheit“, das „nach Vorbildern des Bauhauses und der sachlich-ästhetischen Ideenwelt eines Le Corbusier“ entworfen worden sei und „einen bemerkenswerten Sakralraum“ darstelle.
In diesem Raum macht das Instrument durch seine Farbgebung eine eigenständige künstlerische Aussage.
„Im Sinne konstruktivistischer Malerei und Skulpturkunst (Mondrian, Malewitsch, Gabo)“, so Claudius Winterhalter, „ist die Orgelanlage als geometrisches Bild und farbige Plastik angelegt und besitzt somit gestalterische Eigenständigkeit bei gleichzeitiger Einbindung in die Topografie von Aufstellungsplatz und Raumschale. Prinzipien malerischer Abstraktion werden Architektur.
Dieser wohltuende Eindruck soll dem Betrachter schon beim Eintritt in die Kirche vermittelt werden“.
Das Orgelgehäuse greift die Wandgliederung aus Balken und Flächen auf und entwickelt die Architekturideen Kurt Kleefischs fort. Auf einem wandweißen Sockel erhebt sich das geometrische Bild: Ein breites Sockelfries, dessen rote Farbe aus den Kirchenfenstern abgeleitet ist, trägt das in lichtem Grau gehaltene Schwellwerk, dessen horizontale und vertikale Jalousien die Fläche subtil gliedern. Haupt- und Pedalwerk befinden sich hinter dem silbrig glänzenden, doppelten Rechteck der angelängten Prinzipalpfeifen, das wiederum von einem roten Fries korrespondierend bekrönt wird. Hinter den Pfeifenfüßen des Prospekts ist ein LED-Lichtband angebracht, das nach Wunsch die Farbkomposition um ein warmes Gelb im Sinne Mondrians ergänzen kann. Claudius Winterhalter erweist sich mit dieser Komposition einmal mehr als erfindungsreicher und feinsinniger Gestalter, der es versteht, das uralte Handwerk Orgelbau um zeitgenössische Ausdrucksformen zu bereichern. Nach seiner vielgelobten Chororgel von 2006 in der Domkirche zu Stuttgart – sie hat die Gestalt einer auf dem Kopf stehenden Pyramide – ist das Instrument in Sankt Winfried seine zweite Arbeit für einen Nachkriegskirchenraum und die erste in einem entschieden modernen Ambiente. Diese neue Aufgabe hat zu einer markanten Weiterentwicklung seiner Formensprache geführt: So reduziert aufs Wesentliche hat sich noch keine seiner Orgeln präsentiert.
Die Disposition der Orgel in Sankt Winfried, die vom Orgelsachverständigen Adolf Fichter gemeinsam mit dem Seelsorgebereichsmusiker Georg Friedrich, Claudius Winterhalter und Michael Gassmann entwickelt wurde, musste einerseits den beschränkten räumlichen und finanziellen Verhältnissen Rechnung tragen und sollte zugleich größtmögliche Klangvielfalt gewährleisten. Der Akustik des Kirchenraums entsprechend, entschied man sich für eine musikalische Ausrichtung, die sich auf die elegante, lebendige Klangwelt des späten Barock bezieht und mit unprätentiös streichendem Timbre und feiner Fülle bereits die Ideale der frühen Romantik aufzeigt.
Die Orgel verfügt auf zwei Manualen und Pedal über 17 Register, einen Vorabzug, vier Transmissionen und einen Tremulanten. Aus Gründen vorteilhafter Raumnutzung erhielt das Pedalwerk neben Subbass 16’ und Fagott 16’ eine vollständige Reihe adäquat mensurierter Transmissionsregister aus dem Hauptwerk: Octavbass 8’, Bassoctave 4’, Gedecktbass 8’ und Trompete 8’. Die Superoctave 2’ im Hauptwerk ist ein Vorabzug aus der Mixtur. Diese Zusatzfunktionen ermöglichen einen besonders vielseitigen Einsatz der relativ wenigen Register.
Das Hauptwerk ist klassisch aufgebaut, verfügt über einen Principalchor vom Achtfuß bis zur Mixtur, über Gedeckt und Rohrflöte als Begleitregister und über eine kernige Trompete, die zu schönem solistischen Spiel fähig ist und sich zugleich nobel ins Plenum einfügt. Das in barocker Art intonierte Salicional des Schwellwerks korrespondiert mit dem Hauptwerks-principal, die mild streichende Fugara mit der Octave 4’. Auch im Schwellwerk gibt es eine Zungenstimme, die sich sowohl solistisch als auch im Werkplenum als unverzichtbar erweist.
Trotz der beschränkten Registerzahl beeindrucken die Principale, Flöten, Streicher und Zungenstimmen durch ihre vielschichtige Klangfülle und ihre ausgeprägte Farbigkeit.
Ungewöhnlich gelungen ist auch die fein differenzierte Abstufung einzelner Klanggruppen, sowohl untereinander als auch zwischen den Teilwerken, von den Grundstimmen bis zur Klangkrone. Eine wirkungsvolle, erst in neuer Zeit wieder legitimierte Zutat zur Klangausweitung ist die Subkoppel II/II, die im Schwellwerk das Spiel auf Sechzehnfußbasis ermöglicht. Sie koppelt zugleich auf das erste Manual durch, so dass dort jedes Register des Schwellwerks eine Oktave tiefer verwendet werden kann und damit dem Plenum eine zusätzliche, unerwartete Klangdimension beschert.
Klein, aber fein, oder: In der Beschränkung zeigt sich der Meister. Die neue Winterhalter-Orgel ist nicht nur ein ideales Instrument zur Begleitung von Gemeinde, Chor und Kantor, sondern in ihrer Vielfalt und Farbigkeit auch bestens geeignet zur konzertanten Darstellung der Literatur von den Anfängen bis zur frühen Romantik und der Moderne. Darüber hinaus vermittelt sie jene besondere Spielfreude, die Organisten zu spontanem Improvisieren einlädt. Mit ihrer perfekten Innenstruktur, gespiegelt in einem überzeugenden Äußeren, darf die Orgel von St. Winfried als eine weitere Besonderheit im Schaffen der bekannten Schwarzwälder „Orgelschmiede“ gelten.
Michael Gassmann