Instrumente, Lahnstein - St. Johannis

St. Johannis Lahnstein

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Disposition

I/HAUPTWERK
PRINCIPAL 8‘
TRAVERSFLÖTE 8‘
OCTAVE 4‘
ROHRFLÖTE 4‘
SUPEROCTAVE ** 2‘
MIXTUR 2‘
TROMPETE 8‘
II / NEBENWERK
BOURDON 8‘
SALICIONAL 8‘
FUGARA 4‘
HOLZFLÖTE 4‘
QUINTE 2 2/3‘
FLAGEOLET 2’
TERZ 1 3/5‘
DULCIAN 8’
PEDALWERK
SUBBASS 16’
OCTAVBASS * 8‘
FLÖTBASS * 8‘
BASSOCTAVE * 4‘
FAGOTT 16‘
TROMPETE * 8‘
*TRANSMISSION ** VORAUSZUG
TONUMFANG
MANUAL C – A’’’
PEDAL C – F’
KOPPELN
II-I SUB II/I
I-P II-P
TREMULANT
TRAKTUREN
MECHANISCHE TONTRAKTUR
ELEKTRISCHE REGISTERSTEUERUNG
WINDDRUCK
72 MM WS
STIMMUNG
BILLETER 440 HZ/16°
SACHBERATUNG
ACHIM SEIP
MARKUS EICHENLAUB

Zu Wasser und zu Lande

Die Idylle ist perfekt: Inmitten lieblicher Auen steht am Nordufer der Lahnmündung die anstelle eines römischen Wachturms erbaute, romanische Johanniskirche von Lahnstein nahe Koblenz. Eine riesige Kastanie ziert den Kirchplatz. Lastkähne und Passagierschiffe tuckern gemächlich vorbei. Der Blick schweift über den Rhein auf die Steilhänge am westlichen Ufer und die Burg Stolzenfels. Das altehrwürdige, mehrfach aufgelassene Gotteshaus, heute Schul- und Gemeindekirche, ist sowohl zu Wasser als auch zu Lande bestens erreichbar. Einziger Nachteil: Von Zeit zu Zeit überschwemmt das Hochwasser das Kircheninnere – etwa 1993 über einen Meter hoch. Doch trocknet das Gemäuer erstaunlich gut, und die schlichte, moderne Einrichtung ist größtenteils beweglich, also schnell zu evakuieren. Gewichtige Kunstwerke wie einige Barockfiguren und das schwebende Kreuz von Hubert Elsässer (2005) im Hochchor sind buchstäblich höher gehängt – so auch die neue Schwalbennest-Orgel aus der Werkstätte Winterhalter.

Eine Orgel in einer romanischen Kirche – darf das sein?
Romanische Kirchen können sich als sperrig erweisen, wenn dort eine Orgel eingebaut werden soll. Verständlich ist der Wunsch, die historische Architektur möglichst in allen Teilen sichtbar zu erhalten. Zudem lehrte die Denkmalpflege des 20. Jahrhunderts einen gewissen Purismus, den sich inzwischen viele Betrachter zu eigen gemacht haben: Im frühen Mittelalter gab es in diesen Kirchen keine Orgel, ergo gehört sie auch heute nicht dorthin.
Das 1136 in seiner jetzigen Gestalt erbaute Gotteshaus in Lahnstein ist zwar die älteste Emporenkirche der Region, dennoch potenziert sich hier das eben Gesagte: Der Raum ist bei geringen Ausmaßen stark gegliedert und daher hochsensibel. Die Galerien über den Seitenschiffen (die sog. Emporen) sind recht niedrig und nur durch eine schmale Brücke vor der Westwand miteinander verbunden. Wie ein massiger Baukörper wirkt der markante Turm, der mit dem Kirchenschiff durch einen säulengeschmückten Portikus verbunden ist. Es verbietet sich, dieses kostbare Element zu verdecken oder gar anzutasten. – Ein (ebenerdiger) Orgel-Standort kam wohl auch wegen der Hochwassergefahr nicht infrage und die schmale Brücke zwischen den beiden Emporen bietet weder für Spielanlage noch für Trakturen Platz, ohne den Turmportikus zu verbauen. Doch es blieb die hohe Wandfläche vor dem Turm, an der bereits Teile des von Wand zu Wand reichenden Vorgängerinstruments auf einer künstlichen Plattform montiert waren. Zum Glück gab es im oberen Bereich der Rückwand einen weiteren, zwischenzeitlich geschlossenen Durchbruch von der oberen Turmstube her. Dieser wurde nach Freilegung und entsprechender Abtreppung als jetziger Zugang zur neuen Orgel in Verwendung gebracht, die nun komplett – samt Windanlage und Spielkammer – als „Schwalbennest“ vor der Turmwand hängt.

Komplexe Konstruktion
Aus ästhetischen und architektonischen Gründen musste der Korpus nicht nur aufwendig und dennoch Substanz schonend konzipiert, sondern auch möglichst kompakt und flach gehalten werden.

Es ist gelungen, mit nur 21 m3 baulicher Masse, verteilt auf 5.70 m Höhe und 2.00 m maximaler Tiefe, dieses Ziel ohne orgelbauliche Nachteile zu erreichen. Das Rückgrat bildet ein zurückhaltend bemalter „Orgelkasten“ in Form eines Schuhkartons im Hochformat, unter dem sich die Stahlkonstruktion des Tragekäfigs und das gesamte Orgelwerk verbirgt. Auf dieser Grundlage wurde das plastische Prospektbild gestaltet. Im Gehäusekasten unterhalb der Prospekt-pfeifen befinden sich Windmaschine, Balganlage und die Wellaturen der nach unten umgelenkten Mechanik von Hauptwerk und Pedal. Diese beiden Klangwerke stehen in Höhe des unteren Fischrückens auf einer durchschobenen Lade. Sie wurden asymmetrisch geteilt, um die bestmögliche Platzausnutzung zu beiden Seiten der (aus Zugänglichkeitsgründen) nicht mittig platzierten Spielanlage zu erreichen.
Ein Kuriosum ist der Arbeitsplatz des Organisten. Vom Kirchenraum aus betrachtet sitzt er rechts von der Mitte, sozusagen auf dem Buckel des unteren „Goldfisches“. Er sitzt in der Mitteletage des hängenden Orgelgebäudes und kann über verstellbare Türen und Klappen den Klang kontrollieren und ausbalancieren. Der Blickkontakt mit der Kirche wird via Kamera und Bildschirm hergestellt. Einen direkten Durchblick gibt es auch. Die Tür zum unteren Pfeifenwerk besitzt ein Fenster.
Über der Organisten-Kammer befindet sich das geräumige Nebenwerk in guter 4-Fuß Höhe ohne Pfeifenkröpfe. Zur Optimierung der Klangabstrahlung sind in der Gehäusedecke schräg stehende Lamellen eingelassen. Trotz der bizarren Konstruktion ist das hoch über dem Boden hängende Instrument überall gefahrlos begehbar.

Die Windanlage arbeitet mit einem Einfalten-Magazinbalg nach dem Prinzip der Ringversorgung.

Diese Konstruktion hält den Winddruck stabil und doch elastisch. Auch bei starker Belastung lässt der Druck erstaunlicherweise nicht nach, sondern vermittelt den Eindruck eines behutsamen „Nachschiebens“, was gerade bei großem Spiel eine angenehme Atmung des Klanges vermittelt.

Kein Fischwunder, dafür Klangvermehrung
Im Unterschied zur früheren „Lösung“ schließt nun ein durch und durch gestaltetes Kunstwerk den Kirchenraum ab. Die Wellen des nahen Wassers werden mehrdimensional im Pfeifenprospekt aufgegriffen: im Verlauf von Pfeifenfüßen, Labien und Mündungen sowie im geschwungenen Prospektstock – in dieser Ausführung eine orgelbautechnische Meisterleistung. Dieses optische wie musika-lische Zentrum wird oben und unten von zwei Farbflächen und mit Gold veredeltem Glas eingerahmt, die in ihrer Silhouette zwei Fischen gleichen. Die Farbfassung schuf der Künstler Frieder Haser, die Glaselemente stammen von der Firma Teufel, beide im Ortenaukreis ansässig.
Mit den Fischen präsentiert die Orgel nicht nur ein urchristliches Zeichen, sondern auch eines der schönsten biblischen Bilder für Vielfalt und wirklichen Reichtum: Analog zum Gleichnis bei Matthäus 14, 15 – 21, werden hier die Klänge vermehrt. Symbolhaft sind in der geradezu irisierenden Linienführung des schwebenden Prospekts Schallwellen zu erkennen oder eine Formverwandschaft zu Raum und Altarkreuz.

Wenig Masse – viel Klasse
Knapper Platz, vor allem jedoch die extrem kleine Grundfläche, geboten eine äußerst ökonomische Disposition:

16 Register netto, dazu ein Vorabzug und vier Transmissionen sowie eine zusätzliche Koppel II / I Sub. Dieser bescheidene und scheinbar unspektakuläre Fundus erlaubt jedoch eine verblüffende musikalische Vielfalt,

zumal in diesem akustisch so dankbaren Raum. Das Hauptwerk enthält einen kleinen, aber vollständigen Prinzipalchor und ist, basierend auf einem geschmeidigen Principal 8’, hier eher schlank intoniert. Hinzu kommen eine grazile Rohrflöte und eine Traversflöte, die im Bass füllt, im Diskant charakteristische Vorläufertöne entfaltet. Die Trompete bietet Glanz und Volumen gleichermaßen. Das II. Manual ist zunächst ein zerlegtes Cornet. Flöte plus Fugara ergeben dort ein Pendant zur Traversflöte im Hauptwerk. Gedeckt und Salicional 8’ addieren sich zu einem intimen Principal dolce. Dulcian 8’ kann mit den übrigen Stimmen des II. Manuals eingefärbt und so in vielfältige Funktionen verwandelt werden. Gravität und weitere Farbfacetten lassen sich über die Subkoppel gewinnen. Die Transmissionen erlauben Pedalsoli mit Oktave 4’ oder Trompete 8’, auch wenn das Hauptwerk anderweitig verwendet wird. Obwohl das Pedal nur mit zwei eigenen 16’-Stimmen besetzt ist, wirkt es als erstaunlich kräftiges Fundament. Bester Garant dafür ist übrigens kein Geringerer als Gottfried Silbermann. Die Intonation ist auf solistische Qualitäten der einzelnen Register ebenso ausgelegt wie auf ihre Mischfähigkeit. Bereits wenige Stimmen genügen, um die Liturgie abwechslungsreich zu gestalten und den Gemeindegesang sicher zu führen. Und als Konzertinstrument von begabter Hand gespielt, kann diese Orgel für Furore sorgen.

Die Lahnsteiner Johanniskirche – im Herzen des Welterbes Oberes Mittelrheintal und geschütztes Kulturgut nach der Haager Konvention – beherbergt als „älteste Stimme“ die Apollonia-Glocke von 1326. In der neuen Schwalbennest-Orgel hat sie nun ein würdiges Pendant im Kircheninnern – optisch wie klanglich ein Ausdrucksmittel des 21. Jahrhunderts im Kontext der romanischen Architektur.

Markus Zimmermann