Instrumente, Roth - Mariä Aufnahme in den Himmel

Mariä Aufnahme in den Himmel Roth

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Disposition

I/HAUPTWERK
BOURDON 16‘
PRINCIPAL 8‘
GEMSHORN 8‘
HOLZFLÖTE 8‘
OCTAVE 4‘
ROHRFLÖTE 4‘
SUPEROCTAVE 2‘
MIXTUR V 1 1/3‘
TROMPETE 8‘
II / SCHWELLWERK
GEIGENPRINCIPAL 8‘
DOPPELGEDECKT 8‘
VIOLA DI GAMBA 8‘
VOX COELESTIS 8‘
FUGARA 4‘
TRAVERSFLÖTE 4‘
QUINTE 2 2/3‘
FLAGEOLET 2‘
TERZ 1 3/5‘
SIFFLÖTE 1 1/3‘
TROMPETTE HARM. 8‘
OBOE 8‘
TREMULANT
PEDALWERK
PRINCIPALBASS 16‘
SUBBASS* 16‘
OCTAVBASS 8‘
BASSFLÖTE* 8‘
BASSOCTAVE* 4‘
POSAUNE 16‘
TROMPETE* 8‘
* TRANSMISSION AUS HAUPTWERK
TONUMFANG
MANUAL C – A’’’
PEDAL C – F’
KOPPELN
II-I, SUB II-I, I-P,
SUPER II-P, II-P
TRAKTUREN
MECHANISCHE TONTRAKTUR
MECHANISCHE REGISTERTRAKTUR
WINDDRUCK
90 MM WS
STIMMUNG
BILLETER 440 HZ/16°
SACHBERATUNG
MARTIN BERNREUTHER

Ein Bild von einer Orgel

Umgeben von Wiesen und Wäldern, liegt am Rande des Fränkischen Seenlandes das Städtchen Roth. Hier fließen die Roth und die Aurach in die Rednitz, die gemächlich ihren Weg in Richtung Fürth fortsetzt, um sich dort mit der Pegnitz zur Regnitz zu vereinigen. An deren Ufer finden sich noch heute einige Wasserschöpfräder, die Wiesen und Felder bewässern. Das gleichförmige Rauschen dieser Räder inspirierte 1793 den Schriftsteller Wilhelm Heinrich Wackenroder auf einer Wanderung von Erlangen nach Baiersdorf. Er schrieb das „wunderbare morgenländische Märchen von einem nackten Heiligen“, der als Einsiedler in einer Höhle oberhalb eines Flusses lebt und das dröhnende Rad der Zeit hört, das mit lautem Getöse vor seiner Höhle sein Unwesen trieb. Der Heilige wähnte seine Aufgabe darin, das Rad beständig mitdrehen zu müssen, damit die Zeit niemals still stehe. In mondklaren Nächten wurde ihm jedoch sein Schicksal bewusst. Dann hielt er inne und weinte bitterlich, auf dem blanken Boden seiner Höhle liegend. Doch eines Nachts stieg vom nahen Wasser „eine ätherische Musik in den Raum des Himmels empor, süße Hörner, und ich weiß nicht welche andre zauberische Instrumente“. Ein Liebespaar zog in einem Nachen auf dem Fluss seine Kreise und mit ihrer Musik war dem Einsiedler die mühsame Aufgabe, das Rad der Zeit drehen zu müssen, plötzlich entschwunden. Die Musik hatte den Zauber gelöst, auf ihren Flügeln schwebte er zum Himmel. Die Musik als himmlische Erscheinung, deren süßer Schall und ätherischer Klang den Menschen Trost spendet und sie in eine andere Welt entrückt. In Wackenroders Text erleben wir die Geburtsstunde der romantischen Musikvorstellung.

Kehrt der Wanderer von den Ufern der Regnitz an die Ausläufer des Fränkischen Seenlandes zurück, findet er vermutlich keinen Heiligen mehr, der in einer Höhle lebt. Doch mit etwas Glück begegnen ihm in der katholischen Kirche „Mariä Aufnahme in den Himmel“ in Roth Orgelklänge. Vielleicht mahnt ihn die Musik, für einen Augenblick die Zeit still stehen zu lassen. Betritt der Wanderer die 1898 geweihte Kirche, wird er schnell gewahr, dass hier jede Generation ihre Spuren hinterlassen hat. Da ist im neugotischen Chorraum mit seinen bunten Glasgemälden der spätgotische Marienaltar, den die kleine Gemeinde gemeinsam mit seinem Pendant, dem Kreuzaltar aus dem 15. Jahrhundert, schon 1875 den Glaubensbrüdern aus dem benachbarten Rednitzhembach abgekauft hat. Da ist die Erweiterung von 1966: Die Gemeinde war seit Kriegsende stark gewachsen, zum hohen Langhaus gesellte sich ein neues Südschiff. Gebaut aus Beton, mit niedrigem Faltdach und Glasbausteinen in der Südwand, passend zur benachbarten Fabrik. Akustisch gleicht das Südschiff einer Halbinsel, die nur eine schmale Verbindung zum Festland hat. Gegenüber die lange Nordwand, die ihre Fenster eingebüßt hat und in deren Mitte sich seit 1997 ein mächtiger Spitzbogen aus Schichtholz mit gotisierenden Eisenbändern erhebt. Zwischen Nord und Süd, inmitten der Gemeinde, seit 1966 die Insel der eucharistischen Feier: ein schlichter Altarblock, darüber ein hängendes Bronzekruzifix, seitlich der Bronzetabernakel, beide nach Entwürfen von Bildhauer Karl Reidel aus Oberganghofen. An den Wänden Heilige aus Spätgotik, Barock, Neugotik. Darunter der Fußboden aus terrakottafarbenen Fliesen, hoch oben die Decke aus dunkelbraunen Brettern. Der Raum wirkt bunt und unruhig.

Für diese Umgebung eine Orgel zu konzipieren ist gewiss keine leichte Aufgabe. Der Orgelklang soll die gesamte Kirche füllen, die Gläubigen vor der Altarinsel nicht ertauben lassen, aber jene im Südschiff erreichen. Die sichtbaren Teile der Orgel sollen künstlerisch ansprechen, aber im ohnehin unruhigen Raum nicht dominieren. Der Eklektizismus zwingt zur Reduktion. So erhebt sich im Westen zu ebener Erde hinter einer raumhohen weißen Blendwand das Orgelwerk mit seinen 24 Registern. Hauptwerk, Schwellwerk und Pedal, übereinander geschichtet, den Platz ökonomisch nutzend, optisch auf das Notwendige reduziert. Der Wanderer nimmt den erhöhten Spieltisch wahr und das rechteckige Prospektfeld der Orgel mit den silberglänzenden Zinnpfeifen des Principal 8‘ und Principal 16‘.

Inspiriert vom niedrigen Seitenschiff und dem hohen Langhaus, von Süd nach Nord in zwei Reihen ansteigend, dahinter die farbig gestreiften Jalousien des Schwellwerks.

Ein Rahmen mit künstlerisch geschichteten Farbtupfern macht den Orgelprospekt zum bildhaften Kunstwerk, das durch die umlaufende LED-Beleuchtung vor der weißen Wandfläche im Gotteshaus zu schweben scheint. Ein Bild von einer Orgel. Und der Organist inmitten der Gemeinde.

Die Konzeption ist anspruchsvoll. Die Spieltraktur aus Holz und Karbonfasern ist artikulationsfreudig, der Klang berauschend, basierend auf einem breiten Fundament unterschiedlicher Grundstimmen.

Da ist im Hauptwerk ein kerniger Principal mit erdigem Aroma. Über seiner Basis erklingen die Oktavregister bis zur strahlenden Mixtur; der Bourdon 16‘ verleiht zusätzlich Gravität und leitet gemeinsam mit der Trompete 8‘ den Gemeindegesang in geordnete Bahnen. Aber auch alleine macht der Principal eine gute Figur. Dann der Wechsel zu den Flöten, etwa das zurückhaltende, aber klar zeichnende Gemshorn 8‘ und die satte Holzflöte 8‘, die so schön rund klingt und mit dem Principal eine geheimnisvolle Liaison eingeht. Dazu die helle und anschmiegsame Rohrflöte 4‘ mit ihren dezenten Farbnuancen. Die Flöten miteinander mischen oder doch lieber solistisch spielen? Klanglich ist an dieser Orgel vieles möglich; die zarten Flöten für Brahms, das kräftige Plenum für Bach.

Das Schwellwerk hoch oben ist mit zwölf Registern gut bestückt. Eingeschlossen in eine massive Holzkammer, lassen sich per Fußtritt und Handzug die vertikalen Jalousien komfortabel bedienen. Die Klänge aus diesem Teilwerk können dem Hauptwerk mit einer Manualkoppel oder mit einer Suboktavkoppel beigemischt werden. Oder mit beiden Koppeln. Die klangstarre Orgel wird dynamisch. Im betonierten Südschiff klingt es dezent. Vielleicht mag es in der Höhle des Einsiedlers ähnlich geklungen haben, als die Liebenden in ihrem Kahn musizierten. Doch macht sich der Wanderer auf den Weg ins Hauptschiff, wächst der Klang, umfängt ihn Musik.

Im Schwellwerk ist der helle Geigenprincipal 8‘ die Grundlage. Auf seiner Basis ruhen Fugara 4‘ und das überblasende Flageolet 2‘. Quinte, Terz und Sifflöte 1 1/3‘ bringen Farbe ins Spiel, setzen Glanzlichter und runden den Klang im Plenum ab. Beinahe entrückt klingt die Viola di Gamba 8‘ mit der in Schwebung dazu gestimmten Vox coelestis 8‘. Durch den Schwellkasten in ihrem Volumen modulierbar, himmlische Klänge von sich gebend. Schließlich das Doppelgedeckt 8‘, gebaut aus Schwarzwälder Fichte und Kirsche: Im Bass dunkel und geheimnisvoll, ab der Mittellage rund und geschmeidig, fast wie die gemütliche Oboe, die mit dem Doppelgedeckt zu einem runden, dunklen Klang verschmilzt. Schließlich die Trompette harmonique, die dem Schwellwerk Kraft für ein majestätisches Plenum verleiht, als Solostimme aber auch die Gemeinde führen kann. Ein ausdrucksstarker Klang, der sich wiederum durch die Schwelljalousien wunderbar formen lässt. Noch eine Entdeckung: die überblasende Traversflöte 4‘, zum Mischen mit anderen Stimmen eigentlich zu schade. Aber der Dialog mit der Rohrflöte 4‘ im Hauptwerk ist reizend, oder in Kombination mit dem Doppelgedeckt und einer Quinte. Mit der Gambe klingt sie auch gut. Klanglich ist an dieser Orgel eben vieles möglich.

Für Gravität und klare Basslinien sorgen die drei Pedalstimmen Principalbass 16‘, Octavbass 8‘ und Posaune 16‘. Sie machen „einen guten Effect“, hätte der Straßburger Orgelbauer Johann Andreas Silbermann gesagt. Für die Gemeindebegleitung, die lyrischen und stilleren Momente gibt es noch fünf Transmissionen aus dem Hauptwerk.

Beim kräftigen Tutti mit gekoppelten Manualwerken entsteht ein großer und mächtiger Klang, der aber niemals brutal und aufdringlich wird.

In Roth findet der Wanderer sicher keinen Heiligen in einer Einsiedelei. Gewiss aber Musik als himmlische Erscheinung, zur Erbauung und Freude der Menschen und als Trösterin, wie in Wackenroders Märchen. Vielleicht vermag der Wanderer bei ihren Klängen das Rad der Zeit für einen Augenblick anzuhalten. Was wohl Wackenroder über diese Orgel geschrieben hätte? Vielleicht hätte ihn die optische Leichtigkeit fasziniert. Auf jeden Fall aber die himmlischen Klänge.

Markus Zepf