Disposition
I HAUPTWERK C-G‘‘‘ BOURDON (C-H 1959) 16’ PRINCIPAL (PROSPEKT 39*) 8’ HOLZFLÖTE (39*) 8‘ GEDACKT (49*) 8‘ GAMBA 8‘ OCTAVE (4*) V 4‘ FLÖTE (44*) 4‘ FUGARA 4’ QUINTE (1*) 3’ SUPEROCTAVE (14*) 2’ MIXTUR V-VI (63*) 2’ HÖRNLE III 2 2/3’ TROMPETE 8’ |
II/POSITIV C-G‘‘‘ (C-CS, BRÜSTUNG) COPPEL MAJOR (39*) 8‘ QUINTATÖN 8’ PRINCIPAL (41*) 4‘ COPPEL MINOR (44*) 4‘ OCTAVE (4*) 2‘ QUINTE (4*) 1 1/2‘ CIMBEL IV (23*) 1‘ VOX HUMANA 8‘ |
III/ECHO C-G‘‘‘ (SCHWELLKASTEN) PRINCIPAL 8‘ ROHRFLÖTE (C-H 1959) 8‘ SALICIONAL 8‘ BIFARA 8‘ OCTAVE 4‘ SPITZFLÖTE 4‘ NAZARD 2 2/3‘ FLAGEOLET 2‘ TERZ 1 3/5‘ MIXTUR IV-V 1 1/3’ TROMPETTE 8‘ OBOE 8‘ CLAIRON 4‘ |
PEDALWERK C-F‘ PRINCIPALBASS (18*) 16‘ SUBBASS (18*) 16‘ OCTAVBASS 8’ VIOLONBASS 8’ QUINTBASS (14*) 6’ MIXTURBASS V (17*) 4‘ POSAUNENBASS 16‘ TROMPETENBASS 8‘ |
TREMULANT ECHO (HAUPTWERK) |
TREMULANT POSITIV |
GLOCKENSPIEL |
KOPPELN II – I, III – I, III – II, I – PED., II – PED., III – PED. |
STIMMUNG 440 HZ BEI 15 °C, UNGLEICHSTUFIG NACH BILLETER |
TRAKTUREN MECHANISCHE TONTRAKTUR KOMBINIERTE REGISTERTRAKTUR ELEKTR. SETZERANLAGE |
WINDDRÜCKE HAUPTWERK 77 MM POSITIV 65 MM ECHO 77 MM PEDAL 95 MM |
* ANZAHL ORIGINALPFEIFEN 1757 |
SACHBERATUNG PATER STEFAN KLING NIKOLAUS KÖNNER |
Wie der Raum, So der Klang
Zur neuen Orgel im UNESCO-Weltkulturerbe
Wo immer das Rokoko-Juwel der „Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“ genannt wird, fallen Begriffe aus der Musik. So ist die Rede vom harmonischen Vierklang, bestehend aus Dominikus Zimmermanns Architektur, aus der genialen Lichtführung des Raums, aus der von Johann Baptist Zimmermann in ein einmaliges Bildprogramm übertragenen Christus-Theologie und eben aus der Musik, wie sie in den Wallfahrtsgottesdiensten und Konzerten zu diesem beschwingten Ort gehört. Wie aber sieht eine passende Orgel für die passende Musik in diesem großartigen, gleichwohl intimen Raum aus und wie klingt sie?
Der Gesamtklang der ersten Wies-Orgel von Johann Georg Hörterich aus dem Jahr 1757 ist nach Um- bzw. Neubauten durch Willibald Siemann (1928) und Gerhard Schmid (1959) verloren gegangen. Geblieben ist jedoch das grazile Ensemble von Empore und Orgelgehäuse (Hauptkorpus und geteiltes Positiv), das mit der gesamten Innenausstattung der Wies geschaffen wurde und das zu Recht „eine Melodie für das Auge“ (Alfons Satzger) genannt wird. Erhalten sind ferner – und das ist sehr selten – fast alle Prospektpfeifen sowie viele im ganzen Werk verstreute Innenpfeifen von 1757. Eine kleine Sensation war, dass während der Recherchen für die nunmehr abgeschlossenen Arbeiten das Spieltischgehäuse von Hörterich aufgefunden wurde.
Quo vadis Wies-Orgel?
Die Schmid-Orgel von 1959 zu restaurieren (obwohl musikalisch und technisch für ihre Zeit durchaus fortschrittlich), wäre auf Dauer funktional und wartungstechnisch nicht zu vertreten gewesen: Im Untergehäuse war ein Schwellwerk eingepfercht, und der Spieltisch glich einem „falsch geparkten amerikanischen Straßenkreuzer“ (O-Ton Winterhalter). Eine Rekonstruktion auf den Zustand von 1757 schied aus, weil er nicht detailgenau belegt ist und auf zu vielen Mutmaßungen beruht hätte. Auch hätten geringe Tonumfänge, kurze Bass-Oktaven und eine bescheidene einseitige Disposition musikalisch zu viele Einschränkungen für Liturgie und Konzert mit sich gebracht.
Es kam schließlich nur ein Neubau im historischen Gehäuse in Betracht, der aber möglichst viel historische Substanz integrieren und der das Instrument stilistisch logisch – nicht als Kopie – „fortschreiben“ sollte. Undenkbar etwa, dass dem zierlichen Rokoko-Gehäuse eine spätromantisch-symphonische Klangwolke entsteigen würde, welche die zarten und verheißungsvollen Deckengemälde geradezu wegblasen würde! Solche Konzepte voller Organisten-Sonderwünsche (mit bis zu 70 Registern und Chamaden!) waren ernsthaft im Gespräch.
Süddeutsche Tradition – was ist das?
Unter den anfänglich zahlreichen Mitbietern aus dem In und Ausland fand letztlich der Plan von Winterhalter, das neue Werk vorzugsweise aus der süddeutschen Tradition in die vorhandenen Gehäuse hineinzukomponieren, die Zustimmung der Verantwortlichen. Allerdings war es von der Idee bis zur Ausführung ein weiter und bisweilen mühsamer Weg, auf dem mehr als ein halbes Dutzend Varianten technisch exakt vorkonstruiert und musikalisch mit größter Sensibilität erkundet werden mussten: Vor allem sollten die Schwächen der bisherigen Anlage, unschöne Zubauten und Gedränge im Orgelinnern, vermieden werden.
Zwar gibt es in Süddeutschland eine Reihe von Orgeln aus dem 18. Jahrhundert mit viel Originalsubstanz, so unter anderem in Ottobeuren, Landsberg, Benediktbeuren oder Neresheim. Doch sie überdauerten nicht unverändert, sodass die ursprüngliche Klangaussage nur rudimentär erkennbar ist. Selbst die Hörterich-Orgel im Kloster Ettal verrät nicht wirklich, welche musikalische Intention ihr Erbauer verfolgte. Wie viele Barock-Orgelbauer in Süddeutschland gehörte auch Hörterich zu den soliden Handwerks-Technikern, aber in puncto Charakterstimmen und erst recht bei hierzulande seltenen Zungenregistern, war er wohl weitgehend auf sich selbst gestellt. Das lag unter anderem daran, dass die süddeutsche Orgel, bestehend aus einem Prinzipalchor für das Plenum sowie differenzierten Flöten und Streicherstimmen, auf dem Land bescheiden dimensioniert und für schlichte Begleitzwecke ausgelegt war. Lediglich in Klöstern herrschte eine reichere Musikpflege mit eigenständigen Kompositionen und Improvisationen für die Orgel, weshalb dort größere Instrumente gebaut wurden. Dieser Orgeltyp war zudem für das Alternieren mit Gesang ausgerichtet, nicht für lautstarke Klangmassen.
Die süddeutsche Orgeltradition ist somit zwar technisch fassbar, muss jedoch musikalisch aus den spärlichen Originalklängen „herausgehört“ werden. Stärken dieser Orgeln sind die gebündelte Aufstellung der Prinzipale zu einem dichten, fein glänzenden Plenum sowie die schier unendliche Vielfalt von Streicherstimmen und Flöten; sie ergeben – solistisch und in Kombination miteinander – eine Farbenpalette, die bereits die romantischen Klangvorstellungen erahnen lässt.
Klangschöpfung für den Kosmos der Wies
Die in der Wies vorhandene Originalsubstanz und an Referenz-Orgeln abgelesenen Parameter bildeten gleichsam einen Baukasten, aus dem die Mitarbeiter von Orgelbau Winterhalter behutsam eine neue, doch den Duktus dieses Instrumententyps fortführende Orgel schufen. Technisch war dabei sehr rasch geklärt, was getan werden musste: Das Gehäuse und Tragwerk wurde stilgerecht ergänzt und stabilisiert, das störende Schwellwerk und der Spieltisch von 1959 entfernt. Hinter dem Hauptkorpus wurde für das neue Echowerk ein Zubau gestellt, der aber optisch nicht in Erscheinung tritt. Zur besseren Klangabstrahlung im Westchor wurde er mit beweglichen Schallaustritts-Elementen vorne, seitlich und oben versehen. Alle Teilwerke erhielten neue Windladen, wobei die für Süddeutschland typische Bündelung der Prinzipale wieder eingerichtet wurde. Selbstverständlich haben nun alle Teilwerke den heute üblichen Tonumfang, was allerdings einiges Geschick erforderte, um vor allem die zusätzlichen Töne im Bass unterzubringen.
In Hauptwerk, Positiv und Pedal wurde eine Disposition realisiert, wie sie an Orgeln der Zeit und auch – wohl etwas reduziert – in der Wies 1757 bestanden haben mag. Nahtlos fügt sich daran das Echowerk an, das es ebenfalls in vielen Orgeln der Gegend gab, allerdings ist es hier bedeutend reichhaltiger besetzt. Allen Werken wurden einige Zungenregister hinzugefügt, die es hier im 18. Jahrhundert nicht gab. Hörterich könnte sie aber bei Karl Joseph Riepp in Ottobeuren aus der französischen Tradition kennengelernt haben, besonders die seltene Vox humana. Dieses technisch wie klanglich äußerst heikle Register wurde für die Wies anhand empirischer Studien neu entwickelt. Der Spieltisch – ein Kunststück im mehrfachen Sinn
Hörterichs Spieltisch enthielt nur zwei Manualklaviaturen, eine kurze Pedalklaviatur, 23 Registerzüge und drei Nebenzüge. Nun waren aber drei Manualklaviaturen, ein Vollpedal sowie rund 50 mechanische Züge und diverse Schalteinheiten für Registrierhilfen unterzubringen. Es ist ein wahres Kunststück, dass dies nicht nur gelang, sondern der neue „alte“ Spieltisch obendrein noch elegant und einladend aussieht, zudem höchst komfortabel und ergonomisch angelegt ist. Geglückt ist den Konstrukteuren hier neben haarscharfer Millimeterarbeit auch die äußerst ästhetische Verbindung von Alt und Neu: Harmonisch finden sich in unmittelbarer Nähe barocke Profile, ein Designer-Notenpult sowie – diskret eingebaut – alle Funktionen (Setzeranlage), die der zeitgenössische „Musikbetrieb“ mit Gastorganisten und Konzerten verlangt. So steckt im Volumen von 1757 nun doppelt so viel Musik und Technik; statt eines nostalgischen Stilmöbels entstand ein schicker, anregender Arbeitsplatz für Organisten.
Pfeifen von 1757 als „Lehrmeister“
Das Wichtigste ist jedoch die Intonation, gleichsam der Gesangsunterricht für jede einzelne Orgelpfeife. Hierbei geht es nicht um simplen Ausgleich von Lautstärke und Klangfarbe, sondern um sorgfältiges Austarieren von Teiltönen, Intensität und Ansprachegeräusche; es gibt – von der Konstruktion bis hin zur Einstimmung – Hunderte von Parametern, die für den guten Ton einer Orgelpfeife buchstäblich maßgebend sind.
Die Wies ist ein Ort, an dem die Seele angesprochen wird, ein Ort der bewegt. So sollte auch der Klang der neuen Wies-Orgel anrührend, nicht uniform sein. Um das Idiom der süddeutschen Orgel so zu verinnerlichen, dass es weiterentwickelt werden konnte, haben die Orgelbauer an vielen Referenz-Instrumenten ihr Gehör trainiert. Als Glücksfall erwiesen sich zudem die rund 500 historischen Metallpfeifen, die trotz Veränderungen wie Lehrmeister wirkten: Mit viel Geduld und vorsichtigster Bearbeitung war ihnen abzulauschen, wann etwa der Wind stimmig war und sie ihren vollen Glanz entfalten konnten. Konsequenterweise wurde dieses Vorgehen auch auf die neu gefertigten Orgelpfeifen angewandt. Dieser langwierige Prozess – vom eigens gegossenen, handabgezogenen Material, der speziellen Konstruktion und Herstellung in der „Pfeifenbude“ angefangen, bis hin zu den unzähligen Nachtstunden mit der nur dann intonationsgeeigneten Ruhe in der Kirche – führte zu einem Ergebnis, das in seiner Qualität Maßstäbe setzt. Interpreten wie Hörer zieht der aus historischen Fragmenten neu komponierte reine und dennoch vitale Klang gleichermaßen magisch an: Diese Orgel macht süchtig. Besonders gelungen ist dem Winterhalter-Team die Mischfähigkeit vor allem der
Grundstimmen, ein spezifisches Merkmal süddeutscher Orgeln und Orgelmusik.
Sinfonia concertante – Harmonie universelle
In der Barockzeit entstand neben berühmten Gebäuden auch die Sinfonie, und zwar im ursprünglichsten Sinn des Wortes: harmonischer Zusammenklang – analog zur vollendeten Verbindung von Raum, Licht, Topologie und Bildprogramm. Das empfindsame Zeitalter in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte als galante Sonderform die Sinfonia concertante hervor, in der einzelne Instrumentengruppen eine besonders delikate Rolle spielen. Daran mag denken, wer die schmucken Gehäuse und den Spieltisch der erneuerten Wies-Orgel betrachtet. Und nun erklingt aus diesem filigranen Ensemble endlich das passende Instrument, das seine altbayerischen Wurzeln nie verleugnen wird, doch fließend auch viele Fremdsprachen beherrscht – freilich mit leicht süddeutschem Akzent. Wolfgang Amadeus Mozart, der ebenfalls in vielen Sprachen zu Hause war, hätte seine Freude daran gehabt – zumal der Weg vom Nannerl in Augsburg selbst zu Pferde nicht weit gewesen wäre. Aber auch Marin Mersenne, Musiktheoretiker der frühen Aufklärung hätte ein so passend in seine Umgebung eingefügtes Orgelwerk als Harmonie universelle akzeptiert. Zur Augenweide kann nun ein würdiger Ohrenschmaus gereicht werden.
Markus Zimmermann