Hamburg-Eppendorf - St. Johannis, Instrumente

Die Orgel St. Johannis Hamburg-Eppendorf

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Disposition

HAUPTWERK I
Bourdon 16’
Principal 8‘
Holzflöte 8‘
Gemshorn 8‘
Gedeckt 8‘
Octave 4‘
Rohrflöte 4‘
Superoctave 2‘
Mixtur major IV 2’
Trompete 8‘
SCHWELLWERK II
Geigenprincipal 8‘
Doppelgedeckt 8‘
Viola di Gamba 8‘
Vox Coelestis 8‘
Fugara 4‘
Traversflöte 4‘
Nasard 2 2/3‘
Flageolet 2‘
Terz 1 3/5‘
Mixtur minor III 1‘
Basson Hautbois 8‘
Trompette harm. 8‘
Tremulant
Schwellzug
PEDAL
Contrabass 16‘
Subbass* 16‘
Octavbass* 8‘
Cello** 8‘
Flötenbass* 8‘
Bassoctave* 4‘
Posaune 16‘
Trompete** 8‘
*Transmission HW/Ped
**Extension
KOPPELN
I-P II-P
II-I
Sub II-I
Super II-P
GLOCKENZIMBEL
Zimbelstern im SW
5 Glocken (Bronze)
PIANO-PROGRESSION
Balanciertritt (mechanisch)
für Schwellwerk
Display
TONTRAKTUR
Mechanisch
REGISTERTRAKTUR
Mechanisch
Schleifladen
Elektrischer Setzer (Magnete) 26.000 Kombinationen
STIMMTONHÖHE
440 Hz / 17° C
TEMPERIERUNG
modifiziert gleichstufig
TONUMFANG
Manual C-a3
Pedal C-f1
WINDDRÜCKE
HW 75
SW 82
PW 100

Erstaunliche Dynamik und Raffinesse

B

ereits im Mittelalter stand an der Stelle der heutigen St.Johannis-Kirche in Eppendorf ein Kirchbau. Ältestes erhaltenes bauliches Zeugnis sind die noch heute hinter der Orgel sichtbaren Mauerreste eines romanischen Rundturmes aus Feldsteinen, der möglicherweise schon in karolingischer Zeit als Wachturm an der damaligen Alsterfurt errichtet wurde. Die erste urkundliche Erwähnung der Kirche datiert aus dem Jahre 1267. Im 14. Jahrhundert wurde sie durch Brand zerstört und wiederaufgebaut. 1622 schließlich entstand der heutige Bau in Form einer typischen norddeutschen Dorfkirche als Fachwerksaal mit seitlicher Empore. Der separat stehende Feldsteinturm wurde 1751 mit Ziegelmauerwerk quadratisch ummantelt und mit dem Kirchengebäude verbunden. Eine reiche Innenausstattung mit Kunstwerken aus der Erbauungszeit hat sich erhalten und wurde bis in die Neuzeit weiter angereichert.

Der Bau einer Orgel allerdings ließ einige Zeit auf sich warten: erst 80 Jahre nach Fertigstellung der Kirche entschloss man sich, eine solche in Auftrag zu geben, und zwar bei keinem Geringeren als dem schon damals berühmten und international tätigen Hamburger Orgelbauer Arp Schnitger. Dieser baute im Jahre 1701 ein Instrument mit elf Registern auf zwei Manualen mit angehängtem Pedal. Es verrichtete 170 Jahre seinen Dienst und wurde dann vermutlich als zu klein empfunden. Danach folgte 1870/72 ein Neubau durch C. H. Wolfsteller, ein weiterer 1902 durch P. Rother, beide aus Hamburg. Auswärtige Firmen lieferten nach dem Krieg wiederum neue Instrumente (E. Kemper & Sohn, Lübeck 1953/55 und G. F. Steinmeyer & Co., Oettingen 1972/73).

Mit dem nun vollendeten Werk von Claudius Winterhalter erhält die heutige Kirche damit nicht weniger als ihre sechste Orgel in ihrer 400-jährigen Geschichte. Nachdem zumindest die beiden Nachkriegsorgeln den hohen kirchenmusikalischen Ansprüchen der Gemeinde in keiner Weise genügen konnten, ist nun endlich ein Instrument vorhanden, dass diesen Anforderungen vollumfänglich gerecht werden kann. Mag der Gedanke einer Wiederherstellung der ursprünglichen Schnitger-Orgel in dem noch weitgehend erhaltenen historischen Raum manchem Freund der alten Musik auch verlockend erschienen sein: hier wurde er bewusst nicht weiter verfolgt. Denn weder haben sich irgendwelche Spuren dieses Instrumentes erhalten, noch hätte dies der mit erhaltenen Originalinstrumenten reich gesegneten regionalen Orgellandschaft eine entscheidende Facette hinzugefügt. Die wenige Jahre zuvor entstandene noch weitgehend original erhaltene Orgel im nur 130 km entfernten Dedesdorf beispielsweise dürfte mit ihrer Zwillingslade und ebenfalls angehängtem Pedal der Eppendorfer weitgehend entsprochen haben. Vor allem aber wäre eine Fokussierung auf eine historische Orgel bescheidensten Ausmaßes an der aktuellen kirchenmusikalischen Praxis vorbei gelaufen. St. Johannis als eine der beliebtesten Hochzeitskirchen Hamburgs mit breit gefächerter gottesdienstlicher und konzertanter Kirchenmusik benötigt ein Instrument stilistischer Vielfalt und angemessener Größe.

Genau hier setzt die Konzeption des neuen Instrumentes an, galt es doch,

ein Werk zu schaffen, welches eine große Bandbreite abdeckt, ohne in charakterlose Beliebigkeit zu verfallen

– all das auf begrenztem Raum, der nur ca. 25 Registern Platz bietet. Die Lösung, die Claudius Winterhalter hier (wie bereits an anderen Arbeiten) erfolgreich erprobt, besteht darin, zwei reich ausgestattete hintereinander aufgestellte Manualwerke zu disponieren, sich bezüglich der Pedalregister jedoch auf das Notwendigste zu beschränken. (Hier schließt sich dann doch noch der Kreis zum Vorbild Schnitgers, der auf ein eigenes Pedal ganz verzichtete und dieses lediglich an die Manualwerke anhängte. Große Pedalpfeifen bedeuten eben bei begrenztem Raum immer eine erhebliche Einschränkung der verbleibenden Klangmöglichkeiten.) So enthält das seitlich platzierte Pedal im Grunde nur je ein selbstständiges Labial- und Lingualregister (Contrabass + Posaune). Durch Transmissionen aus dem HW und Extensionen entstehen allerdings nicht weniger als acht Registerzüge. Weitere Möglichkeiten werden durch drei Pedalkoppeln, darunter eine Superoktav-Koppel ins 2. Manual erschlossen.

Auf diese Weise entsteht der Freiraum, in den Manualwerken alle Farben bereit zu stellen, die sowohl die barocke wie die symphonische (einschließlich der französischen) Literatur erfordert. Ein reich ausdifferenziertes und sehr wirksames Schwellwerk mit vier labialen 8‘-Registern (einschl. Schwebung) und einem bis zur Terz reichenden Flötenchor wartet dann auch noch mit zwei eigenen Zungenstimmen auf, die dem französische Repertoire die entscheidende Färbung geben (Basson-Hautbois + Trompette harmonique). Außerdem finden sich hier zwei Principal-Stimmen in engerer Mensur und streichendem Klang in 8‘- und 4‘-Lage, die für romantische Literatur unerlässlich und eine schlüssige Ergänzung zum klassischen Principal-Chor des Hauptwerkes sind. In Verbindung mit einer höher liegenden Mixtur befähigen sie dieses Manual aber auch zum barocken Nebenwerk.

Vier weitere labiale 8‘-Stimmen finden sich im Hauptwerk, das zudem mit dem 16‘-Bourdon ein solides Fundament erhält. Hier steht wie erwähnt auch der bis zur Mixtur reichende Principal-Chor sowie eine weitere Trompete (mit einfacher Becherlänge). Die außerdem noch vorhandene Rohrflöte 4‘ schafft in Verbindung mit den 8‘-Stimmen vielfältige und elegante Begleitmöglichkeiten und eine willkommene Ergänzung zur überblasenden Traversflöte des Schwellwerkes. Beide 4‘-Flöten haben darüberhinaus solistische Qualität. Eine Suboktavkoppel ins 2. Manual unterstützt die Gravität.

Die so angelegten klanglichen und dynamischen Möglichkeiten beeindrucken und werden durch eine gut ausgestattete Setzeranlage erschlossen, so dass sie auch bequem und ohne größeren Aufwand genutzt werden können. Sollte die Elektronik einmal versagen, bleiben die mechanischen Registerzüge trotzdem einsatzfähig. Die zweiarmige Tontraktur (mit Carbon-Abstrakten) spielt die mechanischen Schleiflade äußerst sensibel und auch bei allen Koppeln noch ohne Mühe an. Ein Zimbelstern mit 5 Bronze-Glocken krönt das für eine Orgel dieser Größe überraschende Klangerlebnis.Die erstaunliche Dynamik des Instrumentes sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine besondere klangliche Raffinesse vor allem in den vielen Einzelfarben voll zum Tragen kommt, die von Intonateur Kilian Gottwald mit großer Meisterschaft herausgearbeitet wurden. Dies zeigt sich in den nicht weniger als acht labialen Manualregistern in 8‘-Lage, die alle ihre ganz eigene Persönlichkeit ausbilden und dennoch sehr mischfähig sind. Sie sind durchweg auch solistisch zu gebrauchen und erweitern so die bereits durch die Zungen und Aliquotmischungen vorhandenen Möglichkeiten an Soloregistrierungen.

Die Klanggestaltung zielt darauf ab, trotz der trockenen Akustik Atmosphäre und Tiefgang zu erzeugen

und sowohl das homophone als auch das polyphone Spiel zu unterstützen.

Ein differenzierter Winddruck – ansteigend vom Hauptwerk über das Schwellwerk bis zum Pedal – schafft die Voraussetzung dafür, dass alle Teilwerke ihre jeweiligen Aufgaben optimal erfüllen können. Die ganz leicht ungleichstufige Stimmung erhöht die Resonanz und Mischfähigkeit und befördert das angenehme Klangerlebnis.

Die äußere Gestalt der Orgel fügt sich harmonisch in den historischen Kirchenraum ein, ohne seine Identität als moderner Zusatz zu verleugnen. Entscheidend für die Raumwirkung ist, dass das Gehäuse nun mittig auf der Empore steht, was sowohl aus Gründen der Raumgestaltung als auch der Klangabstrahlung ein deutlicher Gewinn im Vergleich zum Vorgängerinstument darstellt. Dieses war – wohl aus denkmalpflegerischen Gründen mit Blick auf die oben erwähnten Feldsteinmauerreste – seitlich aufgestellt worden, was durch eine empfindliche Störung der Raumsymmetrie erkauft war, die insbesondere durch das vorhandene Tonnengewölbe eine nicht zu negierende Gegebenheit darstellt.

Die Korrespondenz zwischen Altarraum und Orgel ist nun wieder zu erleben. Sie wird unterstrichen durch bekrönende Schmuckelemente aus Floatglas mit Goldeinschmelzungen, in deren Mitte sich der goldene Zimbelstern befindet. Diese antworten nun schlüssig auf die goldene Strahlensonne im Altarraum und das dort befindliche ebenfalls golden gefasste historische Kruzifix. Auch die übrigen Farben des Kirchraumes finden sich in der überwiegend weiß gehaltenen Farbfassung des Orgelgehäuses wieder, die durch den Künstler Frieder Haser geschaffen wurde. Sie verleiht dem Orgelgehäuse eine dezente Eleganz, die durch die übereck laufenden gerundeten Pfeifenfelder sowie den Schwung der Labienverläufe unterstrichen wird. Dazu fügt sich die durchweg edel anmutende Gestaltung des Spieltisches mit hochwertigen Materialien wie Bein und Ebenholz

Insgesamt bereichert dieses Instrument nun die Hamburger Orgellandschaft durch ein vielseitiges, aber dennoch charaktervolles Instrument auf höchstem handwerklichen und künstlerischen Niveau. Möge ihm eine längere Lebensdauer vergönnt sein, als seinen Vorgängern!

Andreas Fischer