Feuerthalen (CH) - St. Leonhard, Instrumente

Pfarrzentrum St. Leonhard Feuerthalen (CH)

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Disposition

MANUAL I
PRINCIPAL 8‘
BOURDON * 8‘
OCTAVE 4‘
ROHRFLÖTE * 4‘
DOUBLETTE * 2‘
MIXTUR III 1 1/3‘
MANUAL II
GEMSHORN 8‘
BOURDON 8‘
ROHRFLÖTE 4‘
SESQUIALTER II 2 2/3‘
QUINTE ** 2 2/3‘
DOUBLETTE 2‘
TROMPETE 8‘
PEDAL
SUBBASS 16‘
GEDECKTBASS *** 8‘
* WECHSELSCHLEIFE
** VORAUSZUG
*** EXTENSION SUBBASS
KOPPELN
II-I
I-P
II-P
SUB II-II (DURCHKOPPELND AUF MAN. I)
SUPER II-P
TREMULANT
TONUMFANG
C – G³ / C – F¹
STIMMUNG
BILLETER A° 440 HZ / 16° C
WINDDRUCK
65 MM WS
STIMMUNG
BILLETER 440 HZ/16°

Eine Orgel und kein „Örgeli“

Eine große Orgel zu bauen, ist eine Kunst. Eine kleine Orgel in einen intimen und sensiblen Raum hinein zu komponieren, verlangt zudem Genie. Schließlich: Eine Orgel für einen Raum zu planen, der (noch) gar nicht existiert – das ist ein Wagnis. Vor allem die letztgenannten Merkmale charakterisieren die Situation im katholischen Pfarreizentrum St. Leonhard in Feuerthalen bei Schaffhausen.Das neue Pfarreizentrum mit einem kreisrunden Kirchenraum wurde 2007 vom Architekten Pierre Ilg errichtet. Nachdem die Gemeinde Jahrzehnte hindurch nur von den dürftigen Klängen eines Orgelpositivs begleitet wurde, bestand von Anfang an der Wunsch nach einer „ausgewachsenen“ Orgel; deshalb wurde sie bereits vor der Fertigstellung des Gebäudes geplant und in Auftrag gegeben.

Der Kreis gilt als Symbol des Perfekten, des Ausgeglichenen. Zugleich sind Gebäude mit einem kreisförmigen Grundriss äußerst sensible Gebilde: Jede „Unwucht“ in ihrer Gestaltung und Ausstattung wird als Störung der Harmonie und der Ruhe wahrgenommen. Noch leichter geraten kleine Räume aus der Balance, wenn im Verhältnis zu ihrem Volumen naturgemäß große Körper integriert werden sollen. Andererseits verlangen sie nach Belebung.

Es ist mutig, einen christlichen Gottesdienstraum konsequent zentral anzulegen; dass seit Jahrtausenden fast alle Kirchen frontal ausgerichtet sind, beweist, wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist.

Selbstverständlich kann nur der Altar das Zentrum bilden, zu dem die Besucher „spiralförmig hingeführt“ werden sollen – so der ausdrückliche Wunsch der Gemeinde. Vom Altar aus mit seinem kräftigen Sockel (stipes) und seiner wie ein Tablett schwebenden mensa entwickelt sich das Spannungsfeld zwischen massiven und leichten Elementen, die sich alle der runden Form der Raumschale anpassen.

Gestaltung
Registerzahl und technische Ausstattung bestimmen die äußere Größe einer Orgel und deren zumeist rechteckigen Grundriss. Bei runden Räumen kann das Konflikte schaffen. Nicht so bei Claudius Winterhalter. Sein Entwurf erhielt den Zuschlag, weil er einen in das Raumkonzept passenden, ebenso einfachen wie schlüssigen Gestaltungsansatz vorlegte. Er wollte keinen „Orgelkasten“, sondern eine „Orgelplastik“, die sich als Kreisbogensegment in den runden Raum einfügt.
So wird außerdem weniger Grundfläche verbraucht. Mit seiner weißen, teilweise etwas offen gelassenen Farbgebung fügt sich der Korpus des Instruments elegant in den hellen Raum ein. Im asymmetrischen Zentrum des Prospektes erhebt sich eine konkav zur Raummitte hin gebogene Stele, die mehrere Funktionen erfüllt. Sie ist zum einen natürlich schön und bringt Plastizität in die Prospektabwicklung. Aber sie dient dem Organisten auch als Notenbrett und kann einfach zur Seite geschoben werden, um ins Innere der Orgel zu gelangen. Die markante Optik der schalloffenen Besägung stammt aus der Hand des für seine Kettensägen-Arbeiten bekannten Bildhauers Armin Göhringer, der hier eine Betonung der Horizontalen suchte. Im Ensemble mit der Vertikalen von Orgelpfeifen und Schleierlamellen wird somit eine bewusste Polarität erzeugt, die ein ausbalanciertes Spannungsfeld für das Gesamtbild des Orgel-Objekts entstehen lässt.

Klang
Wie schafft man es, bei einem Registerfundus von gerade einmal elf Stimmen Gravität, Nuancenreichtum und Stilvielfalt zu vereinen – und alles möglichst auf kleinstem Raum, vor allem flach, unterzubringen? Auch hierin hat das Winterhalter-Team Erfahrung, nicht zuletzt durch die Chororgel von Herbolzheim, die für das Feuerthalener Instrument in gewisser Weise Vorbild war.

Die Disposition enthält auf dem I. Manual einen kompletten Prinzipalchor, einschließlich Mixtur und der 8’-Lage, durch die eine Orgel erst „erwachsen“ wird,

so Winterhalter. Doublette 2’ vermittelt hier deutlich zum Flötenchor hin, ohne deshalb im Prinzipalensemble zu stören. Hinzugefügt wurden Bourdon 8’ und Flöte 4’ sowie eine „Sesquialtera“ mit Vorabzug 2 2/3’, um unter anderem ein vollständiges Kornett zusammenstellen zu können. Zwischen Prinzipalen und Flötenstimmen steht das Gemshorn 8’. Dieses im süddeutschen Orgelbau des 17. und 18. Jahrhunderts beliebte Register kann viele Funktionen übernehmen: im Bass zeichnende Begleitstimme, im Diskant leicht streichendes Solo. Gemeinsam mit Bourdon bildet es ein Prinzipal-Echo. Ebenfalls vielseitig als Solo und als Ensemblestimme einsetzbar ist die Trompete, außerdem eine weitere Kraftquelle für das Plenum. Gemshorn, Sesquialter und Trompete sind vom II. Manual aus anspielbar und bilden allein bereits ein ungewöhnliches, aber in sich durchaus schlüssiges und vor allem kräftiges eigenes „Werk“. Das Pedalregister Subbass 16’ ist als so genannte Extension verlängert und auch in 8’-Lage solistisch spielbar. Damit bietet das Pedalwerk unabhängig von der Manualbesetzung eine leise Tenorlage.
Die Register Bourdon, Rohrflöte und Doublette sind als so genannte Wechselschleifen angelegt und können wahlweise dem I. oder II. Manual zugeordnet werden. Diese zusätzliche Flexibilität erlaubt ungewöhnliche Kombinationsmöglichkeiten, etwa bei der Zusammenstellung ausgewogener Trios oder durch Koppeln von Solostimmen über das freie Manual ins Pedal. Alle im II. Manual aktiven Register können über die Koppel II / P 4’ im Pedal eine Oktave höher erklingen. Das erschließt weitere cantus-firmus-Optionen bis in hohe Lagen und vom zarten piano des Gemshorn bis zum forte mit der durch den Sesquialter angereicherten Trompete. Die Koppel II / II 16’ (Suboktave durchkoppelnd auf Manual I) erlaubt ferner reizvolle Doppelungen einzelner Register (z. B. von Gemshorn und/oder Bourdon) für grundtönige Klänge und gibt dem Plenum für diese Orgelgröße erstaunliche Gravität.

Akustik
Noch weniger als die optischen Proportionen sind trotz aller Ingenieurskünste die akustischen Verhältnisse ohne den bestehenden Raum tatsächlich planbar. Und gerade Zentralräume haben stets ihre Tücken wie extreme Brennpunkte, Schalllöcher oder Flatterechos. Man weiß auch nie genau, wie die Oberflächenstruktur auf den Klang wirkt, schon gar nicht in einem Gebäude, deren bescheidene Ausmaße den einzelnen Schallwellen buchstäblich keinen Raum lassen sich zu mischen. Eine weitere variable Größe ist die unterschiedliche Besetzung, die das Klangspektrum und die Halllaufzeiten erheblich beeinflusst.

In Feuerthalen musste daran gedacht werden, dass der für rund 120 Besucher konzipierte Kirchenraum gegebenenfalls um bis zu 200 Plätze erweitert werden kann.

Für welche Situation soll man nun die Orgel intonieren? Gegen diese nicht gerade günstigen Voraussetzungen haben Orgelbauer und Intonateure nur zwei Mittel: hervorragend ausgearbeitete Mensuren und eine äußerst sorgfältige Intonation. Zum Glück ist die Kalkulation aufgegangen: Die Orgel wurde für den gewöhnlich nicht voll besetzten Kirchenraum intoniert und klingt darin in jeder Registerkombination tragend, transparent und entspannt. Mit ihren reichen und soliden Ressourcen wird sie auch eine größere Gemeinde führen können – dominieren muss sie nicht.

Nicht teuer, sondern kostbar

Eine Orgel anzuschaffen, ist für jede Gemeinde ein Kraftakt; zu Recht wird daher immer wieder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Kosten gestellt. Dabei zeigen viele gestalterische Details, wie kostbar ein solches Instrument ist.

Dies offenbart ein Blick auf den hier für alle sichtbaren Arbeitsplatz des Organisten: Wie immer bei Winterhalter glänzt die Spieltafel durch funktionales und dennoch edles Design, sachlich geformt aus schönem Ebenholz und dunkler Eiche. Optik und Haptik dieser Materialien inspirieren Spieler, Hörer und Betrachter gleichermaßen. Auch Anderes, scheinbar Nebensächliches wurde bedacht: So hat man die „Sockelleiste“ der Kirchenwand durch eine umlaufende Schattenfuge unter dem Orgelgehäuse optisch weitergeführt. Dadurch wirkt es noch leichter und scheint ein wenig zu schweben.

Mit ihren subtil gestalteten Details wirkt die neue Winterhalter-Orgel von Feuerthalen als Blickfang und wird gleichzeitig als natürlicher Bestandteil des Kirchenraums wahrgenommen. Als besonderes Accessoire zur künstlerischen Vollendung wurde über dem Pfeifenwerk im Inneren eine elektronisch steuerbare LED-Lichtquelle installiert. Sie kann mit den Farben des Kirchenjahres (rot-grün-violett-weiß) die Ausstrahlung der Orgel lebendig bereichern.
Die Gemeinde St. Leonhard hat im Grundstein ihrer neuen Kirche nicht zufällig den Vers Jesaja 28,16 gewählt: „Gott der Herr spricht: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist.“ – Diese Orgel ist ebenfalls ein kostbarer „Stein“, fest begründet aus bewährter Orgelkunst und Orgeltechnik, verbunden mit viel in die Zukunft weisender Phantasie.

Markus Zimmermann