Herbolzheim - St. Alexius, Hörproben, Instrumente

Die Orgel St. Alexius Herbolzheim

[soliloquy slug=“die-orgel-herbolzheim“]

Disposition

Hauptwerk, Manual I C-g’’’
Bourdon 16’
Principal 8’
Holzflöte 8’
Octave 4’
Superoctave Auszug aus Mixtur 2’
Mixtur II - IV 2’
Trompete 8’
Nebenwerk, Manual II C-g’’’
Gedeckt* 8’
Rohrflöte* 4’
Nazard* 2 2/3’
Doublette* 2’
Terz* 1 3/5’
Pedalwerk C-f’
Subbass** 16’
Flötbass** 8’
Trompete** 8’
Tremulant
Koppeln
II / I, I / P, II / P
Temperierung, Stimmtonhöhe
ungleichstufig nach Billeter, a‘ 440 / Hz 16 °C
* Schleifenteilung
Bass/Diskant c’/cs‘
** Transmissionen aus
Hauptwerk

Orgelgestaltung jenseits aller Konventionen

Von jeher spielt die Orgel – jenseits ihrer primären Funktion als Musikinstrument – eine besondere Rolle innerhalb des Kirchenraums. Zum einen ist es ihre räumliche Stellung, mit der sie vor allem im barocken Kirchenbau des 18. Jahrhunderts in bewusste Korrespondenz zum Altar als zentralem liturgischem Ausstattungsstück tritt, ja sogar – wie im Fall der Benediktinerfürstabtei St. Blasien – die Stelle des Altars einnimmt. Zum anderen ist es aber auch das besondere Augen­merk, das auf die äußere Gestaltung der Orgelfassade gerichtet wird. So kennen wir im ­18. Jahrhundert Beispiele, bei denen die ästhetische Gestaltung der Orgelfassade so hoch bewertet wird, dass sie zum entscheidenden Faktor für die Beauftragung des Orgelbauers wird. Sowohl Joseph Gabler in Weingarten (1737) wie auch Johann Michael Röder in der Breslauer Maria-­Magdalenen-Kirche (1721) erhielten den Zuschlag zum Orgelbau nachweislich deshalb, weil sie beide mit einem neuen, höchst phantasievollen Prospektentwurf aufwarten konnten.
Die Frage der ästhetischen Gestaltung des Orgelprospekts ist heute verstärkt verbunden mit der Frage der Einfügung der Orgel in den historischen Kirchenraum. Während der moderne Orgelbau der letzten Jahrzehnte in der Folge einer falsch verstandenen Denkmalpflege – vor allem dort, wo es um die Integration in ein barockes Ausstattungsensemble ging – sich verstärkt historisierender Lösungen bis hin zu detailgetreu­en barocken Stilkopien bediente und mit dieser rückwärtsgewandten Gestaltungsweise in der Regel künstlerische Belanglosigkeit und einfallslose Kopien produzierte, wurde mit dem Bau der neuen Chororgel in der Katholischen Pfarrkirche St. Alexius in Herbolzheim durch Claudius Winter­halter ein anderer Weg beschritten. Das hier an der Chornordwand der barocken Pfarrkirche aufgestellte Werk als kirchenmusikalische Ergänzung zur spätromantischen Hauptorgel (im Gehäuse auf Blasius Schaxel, 1818, zurückgehend) ist von der bloßen Wiederaufnahme historischer Vorbilder und Stilmerkmale weit entfernt. Es zeigt in der Prospektgestaltung eine eigenständige Lösung, die ganz mit den Mitteln zeitgenössischer Formensprache operiert,

eine Neugestaltung, die einerseits die Sprachmöglichkeiten zeitgenössischer Kreativität nutzt und sich andererseits dialogfähig mit dem historischen Ambiente aus­einandersetzt.


Das in enger Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Armin Göhringer gestaltete Orgelwerk wurde im ersten Joch des weiträumigen Chores zwischen den Wandpilastern der nördlichen Chorwand plaziert und gruppiert sich dort symmetrisch um das rundbogig schließende Chorfenster. Das in den Gesamtproportionen schlanke und auffallend flach gehaltene Orgelgehäuse besitzt einen streng linear-geometrischen Aufbau. Formales Grundelement ist dabei das Rund­bogen­­motiv mit mehreren sich durchdringenden Bogenfeldern: ein schmales Bogenfeld als Gehäusesockel, dem ein weiteres, kleineres Bogenfeld zur Aufnahme der Spielnische eingeschrieben ist. Gegenläufig dazu entwickelt sich das deutlich breitere Obergehäuse mit einem 8’-Prospekt, dessen unterer Abschluss sich in der Verschränkung mit der Spielnische zu einem halbkreisförmigen Bogen ergänzt.
Der in diatonischer Stellung zur Mitte hin fallende, auf einer streng horizontalen Pfeifenstockebene aufgebaute Pfeifenprospekt, klassischerweise mit Prinzipal 8’ ab C bestückt, ist in zwei großen symmetrischen Pfeifenfeldern gestaltet und durch die Anwendung partieller Überlängen in der Weise geführt, dass sich rechts und links, das Fenster umrahmend, turmähnliche Flankenelemente ergeben. Die Mitte hingegen ist in Aussparung des Chorfensters tief abgesenkt. Wesentlicher Teil der Prospektgestaltung ist eine die Mittelachse akzentuierende schmale, stelenartige Holztafel, die in einer räumlichen Schichtung hinter dem Bogenfeld den Gehäusesockel durchläuft, um im Bereich der Spielnische ihre Fortsetzung zu erfahren. Im oberen, das Gehäuse­dach überragenden Teil wirkt die Tafel wie ein zentrierter Mittelturm; im Bereich der Spielnische übernimmt sie die Funktion des Notenbretts. Im Gegensatz zum Hauptwerk präsentiert sich das Nebenwerk im Gehäuseunterbau nicht mit eigenem Pfeifenprospekt, sondern tritt nur über die offen gehaltenen Zwickelflächen, die sich aus der Überlagerung der Kurvaturen von Obergehäuse und Unterbau ergeben, in Erscheinung.
In der Seiten- und Schrägansicht wird die besondere plastische Gestaltung des Orgelprospekts erfahrbar. Das Bogenfeld des Gehäusesockels legt sich in einer Art Schichtung vor die Gehäusefront des Oberbaus und wölbt sich in seinem oberen Teil – gleich einer dünnen Scheibe – leicht nach vorne. Die gleiche Linienführung besitzt auch die stelenartige Holztafel, deren räumliche Wölbung im Pfeifenprospekt wie auch in den kurvig geschwungenen Vorderkanten der Gehäuseseitenwände aufgenommen wird.

Mit diesen plastischen Gestaltungsmitteln löst sich der Orgelprospekt aus seiner Zweidimensionalität und wird zu einer vielseitigen Skulptur.


Wirkungsvolle Steigerung erfährt der tektonische Aufbau des Orgelprospekts durch geometrisch-lineare Strukturen, die sich auf den vom Orgelbauer vorbereiteten glatten Holzober­flächen graphisch entwickeln. Der Bildhauer Armin Göhringer setzt hier ganz auf sein abstraktes Zeichenrepertoire, wie es in seinem Werk seit Beginn der 1990-er-Jahre durchgängig anzutreffen ist. Das unkonventionelle Herstellungsverfahren, nämlich der Einsatz der Kettensäge, die zu groben, gleichsam gewaltsamen Einschneidungen in das Holz führt, wie auch das Überbürsten der groben Holzfasern betonen den kraftvoll-manuellen Prozess und bestimmen die Arbeit des Künstlers: einerseits ein spontan-impulsives Handeln, andererseits eine exakte bildkünstlerische Vorplanung.
Sein künstlerisches Grundelement nennt Armin Göhringer „Kreuzschichtung“, lineare Schnitte mit der Kettensäge in das Holz, die auf der einen Seite als horizontale Linienführung, auf der anderen Seite im rechten Winkel dazu als vertikale Sägelinien ausgeführt werden, wodurch eine gitterförmige Struktur entsteht. An den Stellen der gegenseitigen Überkreuzungen und einer dichten Überlagerung kommt es – wie im Bereich der stelenartigen Holztafel und des Gehäuse­sockels – zu Durchbrüchen und Perforationen, die dem kompakten, blockartigen Holzkörper Transparenz, Leichtigkeit und Durchlässigkeit verleihen.
Die farbliche Behandlung der Orgelskulptur, eine monochrome Weiß-Fassung mit in Blattgold belegten Turmabschlüssen und dunkel aufpoliertem, goldfarben wirkendem Riegel-Ahorn für die Spielnische, ist genau auf die Farben des barocken Kirchenraums abgestimmt und fügt sich bruchlos in das Ausstattungsensemble ein. Die Fassung der Holzoberflächen erfolgte dabei in einer lasierenden Technik, bei der die Holzstruk­turen sichtbar bleiben und die graphischen Lineaturen in der Kontrastwirkung hervortreten.
Die Entwurfsmodalitäten und der künst­lerische Entstehungsprozess des Herbolzheimer Chororgel-Prospekts sind für den modernen, nachkriegszeitlichen Orgelbau durchaus bemerkenswert, da es sich hier um einen eher selten beschrittenen Verfahrensweg handelt. Liegt die Gestaltung des Orgelprospekts heutzutage in aller Regel in der Kompetenz des Orgelbauers allein, so entstand das Herbolzheimer Instrument
in einer engen Zusammenarbeit von Orgelbau und Bildender Kunst.
Ein solches künstlerisches Procedere wie auch der Einfluss der Bildenden Kunst auf die Gestaltung der Orgelfassaden allgemein – vornehmlich bei repräsentativen Bauaufgaben – ist in der Geschichte des Orgelbaus, und hier insbesondere im 18. Jahrhundert, immer wieder nachweisbar. Als Beispiele mögen hier ein Entwurf aus der Werkstatt Balthasar Neumanns für die Chororgel der Benediktinerabtei Münsterschwarzach aus dem Jahr 1742 oder die dem kurpfälzischen Hofbildhauer Paul Egell zugeschriebene, ausnehmend elegante Präsentationszeichnung zum Orgelprospekt der ehemaligen Jesuitenkirche in Mannheim aus dem Jahr 1751 genügen. Immer handelt es sich um exquisite, höchst individuelle Prospektlösungen, die von der ingeniösen, schöpferischen Phantasie ihres Urhebers zeugen.
Der eigentliche Entwurfsprozess zur Herbolz­heimer Orgel vollzog sich dabei in mehreren Stufen und wurde von einem intensiven Zusammenwirken von Orgelbauer und Bildendem Künstler geprägt. Wie bei den Beispielen Neumann und Egell beschränkte sich der Beitrag Armin Göhringers in Herbolzheim nicht allein auf die dekorative Ausgestaltung einer vorgegebenen Orgelarchitektur. Vielmehr entwickelte der Bildhauer auf der Basis einer Handskizze von Claudius Winter­halter zur technischen Anlage die Grundidee für den architektonischen Aufbau des Prospekts in Form der zwei gegenläufigen, sich verschränkenden Bogenfelder und des um das Chorfenster komponierten Pfeifenprospekts. Die besondere Aufgabe der Orgelbauwerkstätte bestand darin, auf der Grundlage dieses Vorentwurfs die spezifischen orgelbautechnischen Gesetzmäßigkeiten wie auch konstruktive und akustische Aspekte des Instrumentenbaus angemessen einzubringen. Auf diese Weise entstand in engem Dialog mit dem Bildhauer

eine Werkanlage, die sich – ohne Kompromisse an die äußere Form – durch ihren ökonomischen, technisch überzeugenden Aufbau auszeichnet

und die – entsprechend den Grundsätzen klassischen Orgelbaus – eine weitgehende Kongruenz von Fassade und Orgelinnerem realisiert.
Der unkonventionelle Ansatz, der mit der Gestaltung der Herbolzheimer Chororgel gewählt wurde, ist in mehrfacher Hinsicht beachtenswert: zum einen das Thema der bildkünstlerischen, zeitgenössische Kreativität nutzenden Neugestaltung, die jenseits aller historisierenden Nachbildung jene geschichtliche Glaubwürdigkeit vermittelt, wie sie auch (bei neuen Zutaten) zum Grundanliegen der Denkmalpflege gehört. Zum andern ist es die kreative Auseinandersetzung mit dem barocken Kirchenraum, der als verpflichtender Maßstab die Gestaltungsprinzipien vorgab. So fügt sich das Orgelwerk – die architektonischen Strukturen und wirksamen Sichtbeziehungen des Raumes sensibel respektierend – überzeugend in das Ausstattungsensemble ein und tritt in der spezifischen Formgestaltung und Farbgebung in einen offenen Dialog mit seinem Umfeld. Nicht zuletzt ist es aber auch der künstlerische Aspekt des Herbolzheimer Projekts, mit dem ein wesentlicher Beitrag zur zeitgenössischen Orgelgestaltung geleistet wurde – eine Lösung, die auch innerhalb des Kirchenraums neue künstlerische Akzente zu setzen vermag.

Klaus Könner

Informationen zur Hörprobe

_MG_0025
Chororgel
Muffat · Frescobaldi · Guilain · Pachelbel · Bruna · Stanley · E. Bach · J. S. Bach
St. Alexius Herbolzheim im Breisgau
Georg Koch, Orgel
Aufnahmedatum: 20-21/03/2000
©2015 Kath. Pfarrgemeinde St. Alexius

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