Instrumente, Künzelsau - Johanneskirche

Johanneskirche Künzelsau

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Disposition

I/HAUPTWERK
BOURDON 16‘
PRINCIPAL 8‘
HOLZFLÖTE 8‘
VIOLA DI GAMBA 8’
OCTAVE 4‘
TRAVERSFLÖTE 4‘
QUINTE 2 2/3’
SUPEROCTAVE 2‘
TERZ 1 3/5‘
MIXTUR IV-V 1 1/3‘
TROMPETE 8‘
II / SCHWELLWERK
PRINCIPAL 8‘
ROHRFLÖTE 8‘
SALICIONAL 8‘
BIFARA 8‘
OCTAVE 4‘
SPITZFLÖTE 4‘
NASARD 2 2/3‘
FLAGEOLET 2‘
TERZ 1 3/5‘
MIXTUR IV 1’
TROMPETTE HARM. 8‘
BASSON-HAUTBOIS 8‘
PEDALWERK
PRINCIPALBASS 16‘
SUBBASS 16‘
QUINTBASS 10 2/3’
OCTAVBASS 8’
BASSFLÖTE 8’
BASSOCTAVE 4’
POSAUNE 16‘
TROMPETE 8‘
TREMULANT
ZIMBELSTERN
KOPPELN
II-I, SUB II-I, I-P,
SUPER II-P, II-P
TRAKTUREN
MECHANISCHE TONTRAKTUR
DUALE REGISTERTRAKTUR
SETZERANLAGE
WINDDRÜCKE
HAUPTWERK 77 MM
SCHWELLWERK 78 MM
PEDALWERK 92 MM
TONUMFANG
MANUAL C – A’’’
PEDAL C – F’
STIMMUNG
BILLETER 440 HZ/16°
SACHBERATUNG
BURKHART GOETHE

Von der Sprache Hohenloher Orgeln

Wer es einmal schafft, der unermüdlich brausenden Verkehrsachse auf der Autobahn 6 zu entsagen und in das Hohenloher Land abzubiegen, ist nicht selten überrascht von der Anmut und Stille dieser Region. Burgen und Schlösser säumen die tief eingeschnittenen Flusstäler von Kocher und Jagst, umgeben von Wäldern und Feldern. Über die reglos sommerliche Mittagshitze des Dorfes streicht ein einsamer Bussard und in verträumten Kleinstädten scheint die Zeit stillzustehen …

Im Gegensatz zu anderen Orgellandschaften sind die Instrumente der hohenlohisch-fränkischen Region wenig bekannt. Der historische Orgelbestand ist hier vielleicht auch weniger spektakulär, weist jedoch einen eigenständigen, subtilen Zungenschlag auf.

Die einstigen kirchlichen und herrschaftlichen Verhältnisse glichen vor der Mediatisierung 1806 und der Übernahme durch das Königreich Württemberg noch einem Flickenteppich. Da gab es die verschiedenen Herrschaftshäuser der Grafen und Fürsten von Hohenlohe, den starken Einfluss des katholischen Hochstiftes Würzburg und der Fürstpropstei Ellwangen, der lutherischen Markgrafen von Ansbach und der freien Reichsstadt Rothenburg. Politische und kirchliche Zugehörigkeit konnten von Dorf zu Dorf wechseln und die Größe und Beschaffenheit einer neuen Orgel war stets von der Gunst der Herrschaft und ebenso vom Reichtum des jeweiligen Dorfes abgängig.

Eine eigenständige Orgelbautradition entwickelte sich in Hohenlohe – mit wenigen Ausnahmen – erst im 18. Jahrhundert.

Bis dahin waren hier vor allem bedeutende Orgelbauer aus den angrenzenden Gebieten tätig, wie Johannes Hofmann und Johann Philipp Seuffert aus Würzburg, Johann Michael Schmahl aus Heilbronn, Paul Prescher aus Nördlingen und Johann Christoph Wiegleb aus Wilhermsdorf, der ein berühmter und begehrter Lehrmeister war.

Dann jedoch wurde die Werkstatt von Johann Adam Ehrlich (1703–1784) und seine Söhnen in Wachbach bei Mergentheim richtungweisend und ebenso der aus Mainfranken stammende Ehrlich-Schüler Georg Ludwig Mezler (1750–1825) als »Stift Komburgischer Orgelmacher und Bürger zu Steinbach«. Gleichzeitig traten aber auch heftige Konkurrenten als »privilegierte Hof- und Landorgelmacher« aus den genannten benachbarten Herrschaftsbereichen auf.

Ausgangspunkt für den Klangstil der Orgeln in Hohenlohe waren im Wesentlichen zwei angrenzende Orgellandschaften, nämlich Main-
franken und Mittelfranken. Aus diesen Brunnen schöpften die Ehrlichs ihre besondere Klanglichkeit, die neben einem durchgebauten Principalchor mit meist terzhaltigen Mixturen und den gedeckten Grundregistern vor allem die sogenannten »Unterscheidlichen« enthielt: Gemeint waren hier farbige Grundregister, die sowohl den Gesamtklang, als auch die unterschiedlichen Solofunktionen in besonderem Maße unterstützten. Als besondere Klangmittel wurden im fränkischen Raum bereits gegen Ende des 17. Jahrhundert Streicherstimmen verwendet. Die leider noch immer hartnäckig verbreitete Lehrbuchmeinung, die süddeutschen Streicherregister seien gewissermaßen Vorläufer des orchestralen Klangduktus der Orgeln im 19. Jahrhundert gewesen, kann mit Fug und Recht als falsch bezeichnet werden. Sie bedeutete vor etwa 50 Jahren oft das Ende vieler alter Orgeln, weil Streicher damals nicht in das orgelreformerische Weltbild passten.

Erste Angaben zur Bauweise von Streicherstimmen finden wir in Johann Ulrich Sponsels »Orgelhistorie«, erschienen 1771 in Nürnberg. Sie zeigen die Entwicklung der Gamba und der schwebenden Bifara aus der Verengung einer Principalmensur und des Salicional aus Verengung der Flöte. Sponsel beschreibt dabei auch ein sehr wichtiges Konstruktionsdetail: »Die Pfeifen…werden aber unten an den Füßen gedecket, und ihnen darauf eine sehr kleine Öffnung gebohret…« Gemeint ist damit die Einkulpung der Pfeifenfüße. Sie war in Franken (und auch in Hohenlohe) ein Novum, denn die Pfeifen aller übrigen Register waren – teilweise noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – in der Regel ungekulpt. In Verbindung mit einem sehr niedrigen Winddruck (ca. 54 mm/Ws) entwickelte damit besonders der Principalchor eine überaus vokale, intime Klanglichkeit, die sich von Orgeln anderer Regionen deutlich unterscheidet.

Die Gamben des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sind in Hohenlohe stark obertönig und haben eine langsame Ansprache. Verwendet wurden sie vor allem für getragene und gebundene Stücke »durezze e ligature« und auch zur lasierenden Mischung mit anderen Grundregistern wie Gedeckt und Flöte. Über die Funktion weiterer Register gibt eine Beschreibung des Vertrages von Ehrlich zum Bau der Orgel in Waldenburg 1778 Auskunft: Solicinal (Salicional) ist demnach ein kaum streichendes, »sehr angenehmes und zum Generalbaß oder zum Concert gebräuchliches« Register.

Flöte 8´ »moderiert die schreienden Register und ist angenehm« und das Großgedeckt 8´ »ist so nothwendig als dem Menschen die Nahrung«.

Cornet bzw. Cimbel 3fach sollten den Gesamtklang »beim Präludieren vor die Kirch’« (Orgelvorspiel) schärfen.

Auch ein Vertrag des Sohnes Johann Anton Ehrlich von 1775 für den Umbau der Orgel in Ellwangen beschreibt solche »unterscheidlichen« Stimmen: »…da in der ganzen Orgel kein einziges Register, worauf man a) piano accompagnieren oder b) solo spielen oder ein c) tutti unterstützen kunnte, also ist es für nothwendig erachtet worden, drei Register hinzuzusetzen als a) ein Solicinal, b) eine Biffera und c) eine Quinta Thöna 8 Fuß…«

Interessant ist dabei die Funktion der Quintatön 8´: Sie diente aufgrund ihrer Obertonstruktur nicht als Soloregister, sondern vorrangig zur Stützung des Tutti. In kleinen Orgeln auf dem Land war die Quintatön 8´ nicht selten in Bass und Diskant geteilt, um mit der Bassseite etwa „a parte“ den Klangeffekt des oft angehängten Pedals zu stärken.

Hier wird – ebenso wie bei den Gamben – ein gezieltes Einsetzen der Obertonfunktionen erkennbar, welches sich dann bei den Ehrlichs und Georg Ludwig Mezler vor allem in der Gestaltung der terzhaltigen Mixturen niederschlägt. So erzeugt eine ebenfalls repetierende Terz in der Mixtur in Verbindung mit den anfänglich noch modifiziert mitteltönigen Stimmungen ein machtvolles Plenum. In den Mixturen kleiner Orgeln lief diese Terz nicht durch, sondern endete bei hº, um ebenfalls den Bassbereich zu stärken.

Größere einmanualige Orgeln hatten bei Ehrlich und Mezler ein recht charakteristisches Dispositionsschema mit etwa fünf 8´- Registern, drei Stimmen zu 4´, einer Quinte 3´, einer Superoctave 2´, einer großen Mixtur mit Terz und oft auch einem kleinen, als Cimbel oder Cornett bezeichneten Mixturregister ohne Terz. Dazu trat gelegentlich ein schwebendes, als Bifara oder Suavial bezeichnetes Diskantregister. Im Pedal finden wir fast immer neben dem Subbass 16´ zwei 8´-Stimmen, nämlich den Octavbass und den hölzernen Violonbass. Dieser stellte keinesfalls den heute üblichen »leisen, zweiten 8-Fuß« in der Pedaldisposition dar, sondern färbte ebenfalls stark obertönig ein und war in kleinen ländlichen Orgeln oft das einzige Pedalregister, weil der Subbass als Continuo-Register galt und nur dort gebaut werden sollte, »wo in einer Kirch Instrumental Music ausgeführet wird« (zeitgenössisches Gutachten 1803). Die Pedalkoppel wurde in der Regel als Ventilkoppel angelegt, in größeren Instrumenten war sie schaltbar. Dazu kamen häufig ein Tremulant sowie ein Zimbelstern.

1764 schloss Johann Adam Ehrlich für die Johanneskirche Künzelsau einen Vertrag zum Bau einer neuen Orgel mit 23 klingenden Stimmen auf zwei Manualen und Pedal für 1354 Gulden. In diesem Betrag war das Gehäuse nicht enthalten, da es durch den Bildschnitzer Johann Andreas Sommer (1716–1776) gefertigt wurde. Mit ihm arbeitete Ehrlich auch an mindestens drei weiteren Orgeln zusammen.

Die in Künzelsau wirkende Familie Sommer zählte zu den bedeutendsten Künstlern des süddeutschen Barock.

Mit der Künzelsauer Prospektfront schuf Andreas Sommer eine Art »stylus phantasticus« des Rokoko, was wohl auch zu Auseinandersetzungen zwischen Orgelbauer und Bildschnitzer führte, da die Gehäuseform eine teilweise recht ungünstige Aufstellung der Prospektpfeifen implizierte.
Die Originaldisposition Ehrlichs konnte bislang archivalisch nicht erschlossen werden, dürfte jedoch der klanglichen Anlage eines 1767 vollendeten Instrumentes in Unterschüpf weitgehend entsprochen haben. Die im Künzelsauer Gehäuse aufgefundenen, originalen Zugstangenlöcher weisen auf 26 Registerzüge hin, wobei zwei – für Ehrlich typische und damals recht fortschrittliche – schaltbare Pedalkoppeln und ein Zimbelstern eingerechnet werden müssen.

1880 wird die Orgel durch Johann Heinrich Schäfer aus Heilbronn nach hinten versetzt und mit einem freistehenden Spieltisch ausgestattet. Im Jahre 1913 errichten die Gebrüder Link als opus 595 im alten Gehäuse ein neues Instrument mit 36 Registern, verteilt auf drei Manuale und Pedal mit pneumatischen Kegelladen. 1959 und 1972 wird die Orgel – ebenfalls durch Link – umgebaut, mit elektropneumatischen Trakturen versehen und klanglich im Geiste der »Orgelreform« komplett umgestaltet. Die Registerzahl ist schließlich auf 40 klingende Stimmen angestiegen, eingezwängt in ein dafür viel zu kleines Rokoko-Gehäuse. Störungen waren mithin vorprogrammiert und der spätromantische Impetus des Klangbildes von 1913 war zugunsten einer »aufgenordeten« Disposition weitgehend verlorengegangen.

Erklärtes Ziel seit Beginn der Planungen für einen Neubau 2006 war es daher, dem wertvollen Gehäuse wieder zu einem räumlich und ästhetisch angemessenen Orgelwerk zu verhelfen.

Eine klangliche und technische Rekonstruktion der Ehrlich-Orgel kam dabei keinesfalls in Frage, denn mögliche Vorbilder und somit die erforderlichen Parameter aus der Wirkungszeit von Johann Adam und Anton Ehrlich um 1765 existieren nicht mehr. Überdies stellt eine solche Rekonstruktion stets einen Anachronismus dar, der vor allem dann kritisch zu hinterfragen ist, wenn es gleichzeitig aus Kostengründen kaum noch gelingt, tatsächlich erhaltene, originale Orgelbestände in der Umgebung angemessen zu pflegen und zu unterhalten.

Grundlage für die Disposition der neuen Orgel war das Klangkonzept eines vielfältigen, farbigen Instrumentes unserer Tage in einem eher »klassisch-zeitlosen« Stil.

Dabei sollten bewusst Erscheinungen der aktuellen »Tagesmode«, wie etwa eine klangliche Ausrichtung im Sinne der deutschen Romantik oder der französischen Symphonik (oder gar einem Konglomerat beider) vermieden werden zugunsten eines leichten »Zungenschlages« der Hohenlohischen Region.

Der Orgelbauwerkstatt Claudius Winterhalter aus Oberharmersbach (Schwarzwald) ist diese Zielsetzung in geradezu perfekter Art und Weise gelungen. Abgesehen von der Wahl hervorragender Materialien und einer exzellenten Konstruktion und Verarbeitung mit äußerst artikulationsfreudigen Spieltrakturen wurde hier ein Instrument mit einer sehr individuellen Klangaussage geschaffen.

Orgelbaumeister Winterhalter und seine Mitarbeiter – hier ganz besonders Intonateur Alois Schwingshandl – haben es geschafft, hinter dem bewegten Prospekt von 1766 ein Instrument zu bauen, das die besondere Genuität und Klangtradition ihrer Werkstatt keinesfalls verleugnet, gleichzeitig aber auch unüberhörbar die musikalische Sprache der hohenlohischen Orgel zitiert.

Diese teilweise Adaption eines besonderen regionalen Stiles in Süddeutschland gelang beispielsweise durch die Übernahme der Principalmensuren aus der Ehrlich-Orgel in Bad Wimpfen (1748) und eine deutliche Ausrichtung der Streicherstimmen nach den Kriterien des 18. Jahrhunderts. Aus Kostengründen wurden einige »große« Pedalregister der Link-Orgel nach entsprechender Überarbeitung und Mensurkorrektur übernommen. Auch sie fügen sich als solides Fundament hervorragend in den Gesamtklang ein.

Verblüffend ist hier die akustische 32´-Wirkung des Quintbass 10 2/3´ sowohl mit beiden 16´-Labialstimmen, als auch der Posaune.

Die Mischfähigkeit der Einzelregister ist überdurchschnittlich hoch. So bildet z.B. die hier wirklich einmal charakteristisch obertonreiche Rohrflöte 8´ des Oberwerkes zusammen mit dem Salicional den synthetischen Klang einer zarten Klarinette. Sehr farbige Aliquotregister, nach historischem Vorbild auch in Baß- und Tenorlage markant intoniert, bieten die verschiedensten Farb- und Füllnuancen. Zusammen mit den insgesamt fünf präzise ansprechenden Zungenregistern bietet sich ein sehr vielfältiges Klangspektrum und erlaubt die Darstellung von Orgelmusik in großer Bandbreite. Ein solches, heute oft formuliertes Postulat ist weder durch eine Stilkopie, noch durch das Konglomerat vieler Stile innerhalb einer sogenannten »Kompromissorgel« zu erfüllen, sondern einzig und allein durch die Qualität des Klanges, ungeachtet jeder stilistischen Festlegung.

Orgelklang kann man in Worten nicht beschreiben. Es bleibt daher anzuraten, von der Autobahn 6 abzubiegen und in die stille und anmute Welt Hohenlohes ebenso wie in den subtilen, beseelten Klang der neuen Künzelsauer Orgel einzutauchen.

Und da ist man dann zwischen Kocher und Jagst, zwischen Gamben, Solicionalen und Bifferas, Burgen und Schlössern, verträumten Städten, und vielleicht hört man Bussard oder Fischreiher über die flirrende Mittagshitze eines Dorfes schweben …

Burkhart Goethe