Bad Godesberg - Christuskirche, Instrumente

Die Orgel der Christuskirche Bad Godesberg

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Disposition Hauptorgel

I. Hauptwerk
Bourdon 16’
Principal major 8’
Principal minor 8’
Soloflöte 8’
Bourdon 8’
Salicional 8’
Octave 4’
Flöte 4’
Quinte 2 2/3’
Octave 2’
Mixtur 5f.2’
Cornett ab g 5f.8’
Trompete 8’
Tremulant
II. Schwellwerk
Quintaton 16’
Geigenprincipal 8’
Doppelgedeckt 8’
Gambe 8’
Vox coelestis ab c8’
Fugara 4’
Traversflöte 4’
Quintflöte 2 2/3’
Flageolet 2’
Terzflöte 1 3/5’
Mixtur 4-5f. 1 1/3’
Trompette harmonique 8’
Basson-Hautbois 8’
Tremulant 
Pedal
Untersatz * 32’
Contrabass 16’
Violoncello ** 8’
Subbass 16’
Gedecktbass ** 8’
Bourdon * 16’
Octavbass 8’
Bassoctave ** 4’
Posaune16’
Trompete8’
Clairon ** 4’* Transmission HW
** Extension
Koppeln
II/I   I/P   II/P   Sub II/I   Super II/P
Trakturen
Tontraktur mechanisch
Registertraktur elektrisch
Winddruck
MW 90 mm Ws   PW 110 mm Ws
Tonumfang
Manual C – a’’’   Pedal C – f’
Stimmung 
modifiziert gleichstufig 440Hz/18°
MIDI in/out
Einweihung
Konzert Johannes Geffert
09. Juni 2019

Aufbau der Orgel in 5 Minuten

Finessenreich und voller Energie

Die Christuskirche –
weit mehr als funktional

B

Bad Godesberg war im Krieg glimpflich davongekommen und daher Zufluchtsort. Außerdem wurde es Teil der vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn; durch weiteren Zuzug explodierte die Siedlung Plittersdorf förmlich. So war bald eine neue protestantische Kirche nötig. Mit Otto Bartning wurde ein renommierter Architekt gewonnen, der dem Werkbund angehörte und nahe daran war, selbst Pfarrer zu werden. Die Christuskirche entstand 1953 aus seiner Erfahrung mit den Sonderprogrammen modularer Kirchenbauten. Kern des Komplexes ist hier ein schlichter Hauptraum: die Sonntagskirche; ihr können seitliche Flügel zugeschaltet werden. 

Baumaterial war damals ebenso knapp wie die neue D-Mark. Dennoch ist dieses weit vorausschauend geplante Ensemble, für das auch Konrad Adenauer und Theodor Heuss spendeten, in klaren Formen architektonisch und künstlerisch ansprechend gestaltet. Deshalb hat die Christuskirche so manchen Zweckbau der nunmehr ehemaligen Bundeshauptstadt überdauert und steht heute zu Recht unter Denkmalschutz. – Ob mit oder ohne Seitenflügel: der Kirchenraum ist mit seinem zierlichen Stützwerk in Lichtführung, Farbgebung und Anordnung der Sitzplätze stets auf den Altar hin orientiert, ohne dass störende Distanz zur Gemeinde entsteht. 

Der warme Klinkerboden, die verfugten
Ziegelwände und das ockergelbe Mosaik
des Heidelberger Künstlers Willi Sohl aus Steinresten des Kirchenbaus vermitteln Geborgenheit und Festlichkeit.

Otto Bartning war auch sehr wortgewandt und wohl deshalb auf eine gute Sprech-
akustik bedacht. Außerdem liebte er den Werkstoff Holz besonders; der offene Dachstuhl mit den im spitzen Winkel vorspringenden Wänden der Seitenflügel und die offenporigen Oberflächen hemmen jedoch musikalische Darbietungen. Vor allem tiefe Frequenzen werden vom Raum regelrecht aufgesaugt. Das 1956 eingebaute, inzwischen an geeigneterer Stelle stehende Vorgänger-Instrument von Paul Ott, konnte mit seiner zeittypisch kleinteiligen Disposition keine tragenden Klänge entfalten.

Weniger Pfeifen – dafür die richtigen

Die neue Winterhalter-Orgel ist in Pfeifen- und Registerzahl um rund ein Drittel kleiner als ihre Vorgängerin, klanglich jedoch größer,  finessenreicher und voller Energie. Ihr Konzept
basiert auf der Werkproportion größerer spätbarocker Instrumente und der Farbenvielfalt der Romantik. Hinter dem üppig besetzten Hauptwerk steht ein zweites Manual, das hierzu fast in allen Lagen und Schattierungen ein Pendant bereithält. Wie an süddeutschen Orgeln des 18. Jahrhunderts lässt es sich als Oberwerk einsetzen. Dazu trägt vor allem die insgesamt etwas leichtere Intonation bei, insbesondere die auf 1 1/3’ beginnende Mixtur. Mit ihrer zusätzlichen Repetition bei fis1 belebt sie die Plena bei gekoppelten Manualen.

Beide Manuale enthalten einen labialen 16’ und sind bis a3 ausgebaut. Deshalb haben sie stets genügend Gravität um sonore Registrierungen der Romantik zu realisieren

Darüber hinaus sind bei oktaviertem Spiel aparte Ausflüge in die höheren Tonlagen möglich – sowohl für sphärische Streichermischungen als auch für barocke oder experimentelle Spaltklänge. Die Zungenstimmen des Schwellwerks setzen französische Akzente, ebenso die kombinierte 8’- und 4’-Trompete im Pedal. – Ein gewisser Luxus ist es, dass im Hauptwerk neben dem vor allem für den romantischen Klangaufbau fülligen und naturgemäß durchsetzungsfähigen Principal major mit Principal minor ein deutlich grazileres Gegenstück zur Verfügung steht. 

Platzsparende Extensionen und Transmis-sionen werden häufig kritisiert. Hier sind sie im Pedalwerk jedoch so verteilt, dass keine unliebsamen Überschneidungen entstehen; durch Einzelführung der Posaune mit ihrem dunklen Timbre ist auch das häufige Problem vermieden, dass die Fortführung als 8’ in derselben Mensur für deren musikalische Funktion nicht so recht passen will. Alle Extensionen sind im Diskant deutlich enger, so dass eine gute Zeichnung entsteht. 

Der durch diesen Kunstgriff erreichte Zugewinn kann sich hören lassen: Jeweils vier Klangfarben in der 16’- und 8’-Lage, zwei in der 4’-Lage und ein akustischer 32’!

Langer Atem

Ideen sind das eine – ihre Realisierung das andere. – Obwohl die mit solchen Orgelkonzepten erfahrenen Mitarbeiter der Werkstatt Winterhalter sich in puncto Windführung, Mensurierung und Intonation „warm angezogen“ hatten (u.a. Probetöne im Originalraum auf Reisewindlade etc.)  verlangte die musikfeindliche Akustik von allen Beteiligten einen langen Atem. Für ein perfektes Ergebnis musste immer wieder durch wei-teres Öffnen der Pfeifenfüße und anderer windführender Bereiche, die Tonenergie für die tiefen Lagen gesteigert werden. Intonateur Alois Schwingshandl hat ein Maximum aus dem dicht angeordneten Pfeifenwerk herausgeholt. Gewünscht war eine gravitätische, aber keine brüllende Orgel, die in der sensiblen und stets gut besuchten Christuskirche ohnehin fehl am Platz gewesen wäre. Die heikle Akustik hat immerhin den Vorteil, dass die Orgel von fast allen Plätzen aus gleich gut zu hören ist.

Das Äußere – 
Provokation oder Akzent? 

Winterhalter: „Wie keine andere Epoche haben die opulenten, goldverzierten Gesichter großer Barockinstrumente im kollektiven Bewusstsein der Menschheit bis heute das Bild der Orgel geprägt. Auf dieser Erkenntnis gründet sich meine Auffassung eines zeitgenössischen Orgelbildes. Einfach formuliert bedeutet das, eine Orgel braucht ein geschlossenes, in Farbe gefasstes Gehäuse und die Prospektpfeifen dürfen gerne mit etwas Schmückendem bekrönt werden. Natürlich sind für die Gesamterscheinung harmonische Proportionen und ästhetische Details unerlässlich“.  

Diese Überlegungen führten in Bad Godesberg zu einem Entwurf mit sechs vertikalen Turm-Feldern in 8-Fuß Höhe. Durch das Weglassen je einer Innenrahmung bilden sich aus dieser geradzahligen Teilung gleichzeitig drei ungerade Doppelfelder. Der dadurch entstehende Spannungseffekt wird gesteigert durch eine gegenseitige Pendelung der Türme, deren fiktive Nullachsen sich an der höchsten Stelle des Gehäuses treffen. Die gegenläufig auf- und absteigenden Prospektlabien fügen der formalen Ordnung eine spielerische Komponente hinzu. 

In Summa entsteht aus diesen Einzelfaktoren ein in sich stimmiges, bewegtes und doch angenehm ruhiges Gesamtbild. Winterhalter nennt es asymmetrische Symmetrie. 

Das changierende grauweiß der Raum-Stützpfeiler stand Pate für die ausdruckstarke Gehäusefassung des bekannten Schwarzwälder Künstlers Frieder Haser. Hierzu ergänzend erhielt die vorgebaute Spielkonsole eine edle Fassung in schwarzem Klavierlack. Über den jeweils gleichlangen Prospektpfeifen sorgt eine breite, mit LED-Licht indirekt angestrahlte Goldkante für den unverzichtbaren Schmuckeffekt. 

Mit dieser Orgel hat die Christuskirche in Bonn-Bad Godesberg einen Klangkörper erhalten, der den Charme der beginnenden Wirtschaftswunder-Jahre im fein gefügten Ensemble aufgreift – ohne plumpe Zitate oder brutale Durchbrechungen. Dem ge-wichtigen Wort steht nun adäquate Musik gegenüber. Bartnings Grundsatz „klar und zweckmäßig“ ist auch als Prädikat dieses Instruments zu verstehen, das – wie diese Kirche – mehr ist als ein Zweckbau. Mögen beide das überaus rege Gemeinde- und Musikleben noch lange beflügeln!

Markus Zimmermann